Der Letzte Askanier
dem Neuen Markt, ganz dicht, und gleich gemerkt, daß das unser Müller Jakob Rehbock ist.«
Meinhard nickte, was ihm Karls Wohlwollen sicherte, doch seine innere Stimme wollte nicht verstummen: Das ist die letzte Wahrheit nicht, Karl opfert Waldemar, um seine Macht zu mehren und dem Land endlich Frieden, Wohlstand und Ordnung zu bringen. Wenn Waldemar trotz alledem echt ist, dann ist das Unglück dieses Mannes unermeßlich groß: Zum zweiten Mal hat er nun Land und Fürstenwürde verloren, das erste Mal durch freiwillige Entsagung, als Totgeglaubter, und jetzt durch Karls Urteil, das ihn zum Betrüger stempelt …
Manche sagten, daß er den Verstand bereits verloren hätte, nun aber verlor er ihn ganz sicher, wenn sie ihn als den Müller Jakob Rehbock jagten, als einen gemeinen Betrüger. Da mußte er ja irre werden an sich selber, an seiner Geburt und seinem Rang, an der ganzen Welt, an Wahrheit und Gerechtigkeit.
KAPITEL 26
1351 – Prignitz
S eit Stunden saß Rehbock unbeweglich in seinem Lehnstuhl und starrte auf die Tür. Doch wenn die anderen meinten, er dämmere einfach so dahin, dann stimmte dies nicht, denn für ihn war es harte Arbeit, was er da tat. Immer wieder kam die Stimme, die ihm befahl: »Geh und such dich!«, und dann lief er zur ersten Tür und riß sie auf. Doch dahinter war die zweite Tür, und hatte er die geöffnet, sah er schon die dritte, und hinter der dritten kam die vierte – und so weiter und so weiter. Es war unglaublich spannend, und sein Herz raste so, daß es zu zerspringen drohte. Er schwitzte viel und mußte becherweise trinken. Meist waren es leere Räume, die er durchquerte, ab und zu aber traf er auf Menschen, die kräftig feierten. In einem tanzte König Erich von Dänemark mit der Markgräfin Agnes. Entzückt schaute er zu. In einem anderen war der junge Waldemar dabei, an der Seite der anderen askanischen Markgrafen, nämlich Konrad, Otto und Johann, die Stadt Arnescrone zu gründen. Doch er konnte nicht mit Waldemar reden, unaufhaltsam trieb es ihn weiter, Tür um Tür. Er wurde immer matter, und er betete, daß alles schnell ein Ende haben sollte. Und Gott tröstete ihn: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!
Elisabeth kam herein, ihm mit feuchten Tüchern den Schweiß abzuwischen. Er genoß es wie ein Kind.
»Es ist ein herrlicher Wintertag. Schnee und Eis und blauer Himmel. Nicht zu kalt. Willst du nicht mitkommen ins Freie hinaus? Die frische Luft, die tut dir sicher gut.«
»Ich kann nicht, ich muß die Türen öffnen.«
Sie strich ihm die Haare aus der Stirn, kämmte seinen Bart und küßte ihn.
»Hosianna dem Sohn Davids!« sagte er. »Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!«
Da kniete sie nieder, um mit ihm zu beten. »Und alles, was ihr bittet im Gebet, wenn ihr glaubet, werdet ihr's empfangen.«
»Ich möchte wissen, was ich sehe, wenn ich die letzte Tür geöffnet habe.«
Elisabeth erschrak. »Das wird erst nach deinem Tode geschehen. Wer aber beharret bis ans Ende, der wird selig.«
»Nein, ich möchte es vorher erleben. Vor meinem Ende.«
»Du bist alt und grau …« Sie streichelte seine Hände. »Aber du wirst es noch erleben, ich spüre es.«
Tränen rannen ihm über die Wangen. »Der König hat mich verraten und geopfert, jetzt muß ich mich hier verkriechen wie ein gejagtes Tier. Alles hat sich gegen mich verschworen.« Und er zitierte einen Vers des Propheten Jesaja. »Ich hielt meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften; mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel. Henning von Nienkerken wußte schon, warum er mich verlassen hat, er sah dieses Ende voraus!«
»Du hast ja noch mich.« Elisabeth kniete vor ihm nieder und umschlang seine Knie. »Und du bist der rechtmäßige Fürst dieses Landes.«
»Ich bin nur der Müller Jakob Rehbock aus Bärwalde. Und diesen Betrug wird mein Gott mir nie verzeihen.«
»Hörst du nicht die Stimme des Herrn: Ich vertilge deine Missetaten wie eine Wolke und deine Sünden wie den Nebel. Kehre dich zu mir; denn ich erlöse dich.«
Da fiel er in sanften Schlummer und hörte Elisabeth, die Begine, nur noch aus weiter Ferne. Im Traum war er wieder in Jerusalem. Gedenket des Herrn in fernem Lande und lasset euch Jerusalem im Herzen sein.
Als er erwachte, verfluchte er Jerusalem und seine Pilgerreise ins Heilige Land. Jerusalem, Jerusalem, die du
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