Der Letzte Askanier
schlimmer für Waldemars Seite war jedoch, daß die Vogtei Salzwedel von ihnen abgefallen war.
Diesen Stand der Dinge hatte Rehbock klar erfaßt und vermochte alles lückenlos zu memorieren, wenn die Sonne einmal durch die dichten Wolken brach, die sein Gemüt zumeist verdunkelten.
»Es sieht nicht gut aus für uns«, sagte Hans Lüddecke, der ihn oft besuchte und gerade eben wieder eingetreten war. »Pech für uns, daß die beiden Ludwigs sich geeinigt haben und der jüngere die Mark bekommen soll: der Römer ist ein besserer Mann, als sein Bruder je gewesen.«
»Nun …« Rehbock sprach weiterhin sehr langsam, obwohl es ihm wesentlich besser ging als noch Wochen zuvor. »Ludwig der Römer … soll … soll in Holland sein … und … und … Ludwig der Ältere soll wieder …«
»Ja, es heißt, er habe begonnen, Sandow zu belagern.«
Der junge Graf Waldemar von Anhalt brachte alsbald die Bestätigung dafür, daß Ludwig der Ältere Frankfurt an der Oder, wo die Pest heftig wütete, verlassen hatte und mit seinem Heer zur Elbe zog. Und obwohl es ja in gewisser Hinsicht seine eigene Mark Brandenburg sei, gerate das Ganze zu einem Raubzug wie durch Feindesland, und viele kleinere Städte und Vesten würden mit großer Grausamkeit genommen.
Der Zug der askanischen Partei war vom Osten der Mark, von der Oder, in den westlichen Zipfel gegangen, die Prignitz, jenes Gebiet zwischen Mecklenburg im Norden, der Elbe im Westen, Anhalt im Süden und Ruppin im Osten, das in Perleberg, Pritzwalk, Kyritz und Wittstock seine Zentren hatte.
In einem Herrenhaus in Pritzwalk hatten sie sich festgesetzt. Pritzwalk, eine alte slawische Siedlung, war schon vor 1250 an die Askanier gefallen und hielt nun – nach kurzer mecklenburgischer Zwischenherrschaft – unter den Edlen Gans zu Putlitz fest zu Waldemar.
Albrecht von Anhalt kam ins Zimmer. »Schlechte Nachrichten; Sandow ist gefallen, und Rathenow will trotz aller Verträge zu Ludwig überlaufen. Jetzt wollen sie sich auf die Prignitz werfen. Die ersten Reiter schwärmen schon aus.«
Rehbock wollte aufspringen, doch das war ihm nicht mehr möglich. Nur noch mühsam kam er aus dem Stuhl hoch. »Das müssen wir auf alle Fälle verhindern!«
»Wir haben zu wenig Helme und Schilde«, wandte Albrecht ein.
»Aber wir sind im Recht!« rief Rehbock. »Denn die Wege des Herrn sind richtig, und die Gerechten wandeln darin; aber die Übertreter fallen darin.«
Sie besprachen noch eine geraume Weile, welche Chancen sie wohl gegen die beiden Ludwige noch hätten, und mußten sich schließlich eingestehen, daß sie einen Waffengang nicht wagen durften.
»Was können ein paar versprengte Schafe denn machen gegen eine Rotte hungriger Wölfe?« fragte Albrecht von Anhalt.
»Gott ist mit uns!« rief Rehbock.
»Mit den anderen ist er aber auch!« lachte der junge Waldemar.
In diesem Augenblick kam einer der Edlen von Putlitz ins Zimmer gestürzt. »Die Begine! Sie ist ins Eis eingebrochen und ertrunken!«
»Elisabeth?« fragte einer.
»Ja. Sie hat einen von Ludwigs Rittern gesehen und ist übers Eis gelaufen, um uns zu warnen.«
Rehbock stand erstarrt. Für den Rest seines Lebens war er nun allein, mutterseelenallein. Wieder erfaßte ihn dieses fürchterliche Zittern. Und er wollte nur noch eines: sterben. Nein, noch etwas anderes: sich an Ludwig rächen, denn dessen Reiter waren letztlich schuld an ihrem Tod. Da gab es nur eine Lösung. »Auf!« schrie er. »Wir werfen uns Ludwig entgegen und töten ihn! Und wenn wir selbst draufgehen dabei. Mit Gott für das Haus Askanien!« Des Herrn großer Tag ist nahe; er ist nahe und eilt sehr. Wenn das Geschrei vom Tage des Herrn kommen wird, so werden die Starken alsbald bitterlich schreien. Denn dieser Tag ist ein Tag des Zornes …
Sie standen am Königsberger See, der zwischen Wittstock und Kyritz lag. Kein Heer war es, über das Rehbock gebot, sondern kaum mehr als eine Leibwache, eine Schar aus den Resten der askanischen Truppen, aber ohne die Fürsten von Sachsen und Anhalt. Ihre Schienen waren rostig und übersät von Beulen, ihre Wämser zerrissen, ihre Rösser hatte lange keine Bürste gespürt und keine Krippe gesehen. Man hätte sie für eine Räuberbande halten können.
Rehbock wies über den See. »Ludwig soll da hinten in Rossow stecken, hinter den Seen. An den Straßen links und rechts werden seine Posten lauern, wenn wir aber geradewegs übers Eis hier gehen, wird uns niemand entdecken, und wir packen ihn, bevor
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