Der Letzte Askanier
einen Höhepunkt geben würde: den Tod.
»Du hättest mehr aus dir machen können, machen müssen«, sagte die Purucker, die, so lasziv und träge sie auch schien, die Sprache seines Körpers wohl verstanden hatte. »Bei deiner Begabung, bei deiner Freundschaft zu Ludwig …«
»Zu dem muß ich nachher hin, mir seine Klagen anhören, daß er sich den Päpsten gegenüber genauso unterlegen fühlt wie sein Vater.«
»Kämmerer, Säckelmeister, Kanzler, Landeshauptmann – du hättest alles bei ihm werden können.«
Meinhard nickte. »Schon. Doch was nützt es mir? Ins Innere meiner Seele muß ich gelangen, um Gott zu finden, meinem Innersten muß ich mich hingeben und aus ihm leben. Und das kann ich nur, wenn ich ohne Amt und Pflichten bin und frei wie ein Vogel fliegen kann, wohin der Wind mich treibt. Ich will erkennen, wie die Welt beschaffen ist.«
»Du bist schon ein eigenartiger Mensch.«
Herzog Ludwig V. saß zusammengesunken auf seinem Stuhl wie ein Kutscher auf dem Bock. Auch hier in München fand er seinen Seelenfrieden nicht. Dieses Brandenburg, das war ein Fluch für ihn. Widerwärtig war es ihm, tagelang durch Sand und Sumpf zu reiten, um irgendwelchen märkischen Idioten Urkunden auszustellen und Privilegien zuzusichern. Ohne die prallen Hintern ihrer Weiber, denen er nachjagte, wann immer sich die Gelegenheit bot, hätte er lange alles hingeworfen.
Auf dem Hof hörte er das Lachen seiner beiden Söhne. Hermann war schon fünf Jahre alt, Meinhard ein Jahr jünger. Er stand auf und trat ans Fenster. Seine Frau folgte den beiden Kindern, plapperte wie immer mit ihrer Lieblingszofe. Ludwig seufzte. »Die deutschen Frauen sind wohlgetan«, so hatte es Walther von der Vogelweide vor hundert Jahren verkündet, und bei den Gelagen sangen sie es heute noch – doch Margarete war nicht wohlgetan. Maultasch nannten sie die Leute, und das bezog sich ebenso auf ihren schief gewachsenen Mund wie auf die Tatsache, daß sie ein loses Mundwerk hatte. Doch sie war die Erbin von Tirol – und sein Vater, der Kaiser, hatte sie mit ihm verheiratet, kaum daß seine erste Frau gestorben war, auch eine Margarete, Tochter des Königs von Dänemark. Die ruhte nun seit dem Frühjahr 1340 im Berliner Franziskanerkloster. Wenn ihn die Schwermut packte, wünschte Ludwig sich nichts sehnlicher, als neben ihr im kühlen Grab zu liegen.
Sein Halbbruder trat ein. Auch er ein Ludwig, Ludwig VI., dreizehn Jahre jünger als er und geboren in Rom.
»Bist du wieder dabei, Trübsal zu blasen?« fragte der Römer.
»Aus Brandenburg kommen Gerüchte, daß der alte Markgraf Waldemar herumgeistern soll.«
»Auferstanden von den Toten!« der Jüngere lachte hell und schallend. »Wo ist er noch mal begraben?«
»Im Kloster Chorin.«
»Kein Wunder: das ist doch deren Klagemauer.«
Ludwig spürte aus den Worten die Kritik an seiner Amtsführung in Brandenburg heraus. Statt den Bruder harsch anzufahren, begann er, sich zu rechtfertigen. »Hie Tirol, da Brandenburg, das geht nicht zusammen, da müßte ich mich zweiteilen, um beide Länder am Zügel zu halten.«
»Du solltest aufpassen«, riet ihm der andere. »Die Dessauer, die Magdeburger oder vielleicht auch der Rudolf aus Sachsen, der ja mit Karl unter einer Decke steckt, könnten aus der Lage Nutzen ziehen und versuchen, dir mit diesem falschen Waldemar, der in aller Munde ist, Brandenburg abspenstig zu machen. Der als angeblich letzter Askanier bekommt Brandenburg von König Karl, stirbt als alter Mann alsbald und vererbt es denen, die es haben wollen.«
Ludwig nickte. Er bewunderte neidlos die analytischen Fähigkeiten des Jüngeren. Überhaupt war der kraftvoller, entscheidungsfreudiger und tatkräftiger als er selbst, alles in allem auch der attraktivere Mann. Vielleicht lag das an den unterschiedlichen Müttern. Seine kam aus dem trüben Glogau in Schlesien, während die des Halbbruders immerhin die Grafen von Holland und Valois im Stammbaum hatte.
»Warten wir's ab«, sagte der Römer, um – schon in der Tür – hinzuzufügen: »Wenn da mal nicht deine geliebte Matilde dahintersteckt!« Damit machte er sich wieder auf den Weg.
Ludwig spürte, daß sein Halbbruder ihn nicht zufällig besucht hatte. Es war, als hätte er ihm sagen wollen: Mit Brandenburg wirst du nie und nimmer fertig, überlaß die Sache mir.
Er wußte, wie die anderen über ihn redeten, wenn er nicht zugegen war. ›Ein harmloser Wüstling‹ sei er, ›ein dämlicht Kind‹. Seit dem Tod seines
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