Der Letzte Askanier
Tagesverdienst von zehn Pfennigen standen sie sich gut, denn dafür bekamen sie ein ganzes Lamm, fünf Hühner, vier Aale oder zwanzig Brote. Im Siegel der Stadt erschien erstmals der schwarze Bär, der an einer Art Halsband über sich den roten Adler der Brandenburger trug.
Als Meinhard von Attenweiler in die Doppelstadt kam, fand er sie gemessen an Jerusalem, Neapel oder Köln nicht eben aufregend. Sie sollte zwar fünftausend Einwohner haben, erschien ihm aber eher kleinstädtisch und verschlafen. Er ritt durch das Spandauer Tor ein, überquerte den nördlichen Arm der Spree, erblickte rechter Hand das Heiliggeistspital und wenig später links den Neuen Markt mit der Marienkirche knapp dahinter. Das Berliner Rathaus an der Oderberger Straße interessierte ihn wenig, er hielt auf die charakteristische Pfeilspitze von St. Nicolai zu, um dann am Molkenmarkt links zur Jüdenstraße abzubiegen. Am Jüdenhof sollte das Haus von Kaufmann Baruch stehen.
Als er schließlich davorstand, war er enttäuscht. Bei einem Mann von der Finanzkraft Baruchs hatte er eigentlich einen kleinen Palast erwartet, nicht aber diesen windschiefen Fachwerkbau. Aber natürlich: Er war ja Jude, da mußte er sich bescheiden.
Meinhard stieg vom Pferd und blickte hinauf zu den Fenstern, in der Hoffnung, Leah zu erblicken. Doch niemand zeigte sich. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, wenn er sich vorstellte, daß sie hinter einem dieser Fenster saß und nähte. Unschlüssig stand er da, und er stieß einen tiefen Seufzer aus, den ein vorbeieilender Mann gehört haben mußte, denn er fragte ihn, ob ihm etwas fehle.
Meinhard erschrak. »Nein … Nur … Ich suche den Kaufmann Baruch und frage mich, wo er wohl steckt.«
»Der ist im Cöllner Rathaus hinten an der Petrikirche und kommt erst gegen Mittag wieder.«
Meinhard bedankte sich und beschloß, erst einmal eine Bleibe zu suchen. Am Franziskanerkloster, zwischen Brüderstraße und Stadtmauer, sollte es einen annehmbaren Gasthof geben. Er machte sich auf den Weg.
»Wie lange wollt Ihr bleiben?« fragte ihn der Wirt.
»Ja, wie lange will ich bleiben?« Meinhard war unfähig, klare Entschlüsse zu fassen. Leah! Wann würde er Leah endlich sehen? Waldemar! Würde der nach Berlin kommen? Purucker! Wo sollte er das Lösegeld für ihn auftreiben? Gräfin Matilde! Unbedingt mußte er nach Brandenburg, um sie zu sprechen. Hielt sie die Fäden in dieser merkwürdigen Waldemar-Posse in der Hand? Fragen über Fragen! Womit sollte er beginnen?
»Wenn der Herr sich entschließen wollen!« Der Wirt, ein Mann von erheblicher Fülle und einem Gesicht wie eine Runkelrübe, nahm sein Pferd und führte es schon einmal zum Stall.
»Und mein Zimmer?«
»Vielleicht fällt es noch vom Himmel, wenn Ihr weiter so in die Wolken starrt!«
Die feine Lebensart, fand er, hatte in diesem Berlin offenbar noch nicht recht Fuß gefaßt. Schweigend folgte er dem Wirt, dem nicht der Sinn nach Erklärungen stand, und warf seinen Packen in die kleine und zudem recht muffige Kammer, die ihm schließlich zugewiesen ward.
»Ich gehe noch mal in die Stadt«, sagte Meinhard.
»Geh mit Gott, dann gehst du mit keinem Spitzbuben«, knurrte der Wirt, ehe er im Keller verschwand, offenbar, um sich an einem Schluck Roten zu laben.
Meinhard schlenderte durch die Stadt an der Spree. Als er die Brüderstraße ein Stück nordwestwärts hinaufgegangen war, kam er am Alten Hof vorbei und fragte sich, wann wohl Waldemar – egal, ob falsch oder echt – hier Einzug halten würde, war das doch, wie Meinhard wußte, die alte Stätte, wo die Askanier seit jeher Flagge zeigten. Vielleicht war es am klügsten, sich hier auf einen Prellstein zu setzen und auf Waldemar zu warten. Unsinn! Er ging weiter, getrieben von der Hoffnung, zufällig auf Leah zu stoßen. Das hätte alles leichter gemacht. Wie denn, du Narr! schalt er sich sogleich, denn woher sollte sie ihn kennen? Sie hatte ihn ja in München, in Ludwigs Residenz, überhaupt nicht zu Gesicht bekommen.
Er besah sich das Kloster, das die Dominikaner errichtet hatten, und ging weiter durch Cölln, bis er auf dem Markt mit St. Petri und Rathaus stand. Er fühlte sich fremd und hoffte, Baruch irgendwo im Rathaus zu finden. Und diesmal war das Glück auf seiner Seite, denn kaum hatte er sich beim Bäcker einige Wecken gekauft, sah er den Kaufmann im Rathausportal. Er lief auf ihn zu und stellte sich vor.
»Ich war es, der Euch an der Havelfurt bei Saaringen in den Wald gezogen
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