Der Letzte Askanier
erstehst und wankest nicht,
O himmlisches Jerusalem!«
Für einen Augenblick erwachte Meinhard aus seinen Träumen, wandte den Blick von Leah ab und fragte Baruch, ob er auf seiner Reise ins Heilige Land nicht zufällig den Mann getroffen hätte, der sich im Augenblick als Markgraf Waldemar ausgebe. »Den frommen Pilger aus Jerusalem, so nennen sie ihn ja.«
»Nein, nicht daß ich wüßte.« Und er holte weit aus, um Meinhard die Bedeutung Jerusalems zu erklären. »Nächstes Jahr in Jerusalem! rufen wir aus während unserer Pessachfeier, denn zur Zeit des Zweiten Tempels kamen viele Wallfahrer nach Jerusalem, um ihr Lamm zum Gedenken an ihre Befreiung aus ägyptischer Knechtschaft zu opfern.«
Meinhard konnte ihm nicht folgen, Baruchs Worte waren wie ein Meeresrauschen für ihn. Nichts konnte er erwidern oder gar ergänzen. Auf Leah mußte er in seiner Unbeholfenheit so anziehend sein wie ein Findlingsblock im Regen. Seit er in der Mark Brandenburg war, mißlang ihm alles. Er konnte Ludwig gut verstehen: dem erging es offenbar ebenso. Meinhard verfiel in schwermütiges Schweigen.
Leah sah ihn an. »Etwas bedrückt Euch?«
Meinhard senkte die Augen. Natürlich bedrückte es ihn, daß er sie nicht auf der Stelle küssen und liebkosen konnte, sondern, bis dies einmal gelingen mochte, noch viele Kämpfe durchzustehen hatte, aber dieses war es nicht allein, was sie wahrgenommen haben mußte. Er war ebenso entzückt über das Maß an Feingefühl, das sie ihm damit offenbarte. Denn was ihn recht eigentlich niederdrückte wie den Grashalm der Fuß des Wanderers, war ein Bild, das ihm nicht mehr aus dem Sinn ging – wie sein Freund und Bruder aufs Rad geflochten vor ihm lag und die Henker ihm mit ihren Keulen die Knochen zerschlugen. So sagte er auch nur das eine Wort: »Guntzo.«
»Ich hab's von meinem Vater gehört.«
»Viele werden sagen, nur ein schäbiger Verbrecher sei er gewesen, ein Lump, ein Schlagetot, aber ich habe an ihm gehangen wie … Ich weiß auch nicht!« Meinhard hatte keine Erklärung dafür.
»In anderen Zeiten wäre er ein anderer geworden – oder der geblieben, der er einst war.«
Meinhard zog die Brauen hoch. »Ihr spielt auf Ludwig an?«
»Ich weiß, Ihr seid ein Freund von ihm, und mein Vater finanziert einen Teil seiner Unternehmungen, aber er ist kein Herr für dieses Land. Entweder man liebt es, oder man läßt es.«
Was blieb Meinhard übrig, als ihr recht zu geben? »Ich scheine wenig Glück zu haben mit den Männern, denen meine Sympathie gehört, mein Herz … Da kann ich nur hoffen, daß das bei den Frauen anders ist.«
Leah wandte sich ab von ihm und sah aus dem Fenster. »Ich bin Jüdin … und wie der Schäfer auf der Weide weiß, wenn der Hagel und die Gewitterblitze nahen, die ihn und seine Tiere töten können, so fühle ich, daß sich schwarze Todeswolken über uns zusammenballen und den mit mir verderben werden, der mir zu nahe ist.«
Die Gefühle, die ihn nun ergriffen, machten ihn um eine tröstliche Antwort verlegen. Er jubelte innerlich, weil sie seine Sympathie offenbar erwiderte, aber gleichzeitig erschauderte er, wenn er daran dachte, in welcher Gefahr sie sich in diesen Zeiten und Gegenden befand.
Die zwei Stunden, die er im Hause Baruchs verbrachte, gingen wie zwei Sekunden vorbei, und hinterher kamen sie ihm wie ein Traum vor. Erst als er wieder im Gasthof war und auf dem Bette lag, war er wieder völlig bei sich und malte sich nun aus, wie er bei Baruch auftrumpfte und Leahs Herz im Sturm gewann. Natürlich trat sie zum Christentum über und war über alle Maßen glücklich, seine Frau zu werden. Ludwig schenkte ihnen ein Dorf an der Havel, da, wo er ihren Vater gerettet hatte, und sie lebten glücklich und in Frieden. Als Dank dafür, daß er den falschen Waldemar gefunden und dem Henker zugeführt hatte. Mit diesem Gedanken schlief er ein.
Brandenburg an der Havel war im 9. Jahrhundert der Fürstensitz der slawischen Heveller, bis ihre Burg 928/929 von Heinrich I. erobert wurde. Beim großen Aufstand von 983 gelang es den Slawen aber, die deutsche Herrschaft wieder abzuschütteln. Der letzte Hevellerfürst jedoch, Pribislaw, trat, um seine Herrschaft zu sichern, zum Christentum über, unterwarf sich der Lehnshoheit des deutschen Königs und setzte im Jahre 1147 gar den Askanier Albrecht den Bären als Nachfolger ein. Nach dem Tode Waldemars im Jahre 1319 hatten sich die beiden Brandenburger Stadthälften, die neue wie die alte, für einen
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