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Der Letzte Askanier

Der Letzte Askanier

Titel: Der Letzte Askanier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky
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treiben. Staub mischte sich mit dem Abendnebel. Tausende von Krähen stiegen aus den Bäumen auf und kreisten mit hysterischem Geschrei über dem Tumult.
    Meinhard von Attenweiler verfolgte alles von der Höhe seines Turmes aus. Langsam wurde ihm klar, daß kein anderer als er dies ausgelöst hatte. Nach allem, was er vom Türmer erfahren hatte, war anzunehmen, daß dieser Hans Lüddecke Gransee überfallen hatte. Und kein Hornsignal hatte die Bürger gewarnt, weil ihr Ersatztürmer sanft entschlafen war. Der Strick war ihm sicher, wenn sie ihn ergreifen sollten. Aber noch hatten sie ja anderes zu tun, nämlich Hans Lüddecke zu fangen, und so blieb ihm Zeit genug zur Flucht. War nur zu hoffen, daß sein Pferd sich im allgemeinen Wirrwarr nicht losgerissen hatte. Wenn sich nicht schon Hans Lüddeckes Leute seiner bemächtigt hatten. Man mußte sehen.
    Ruhig stieg er hinunter und ließ die Leiter hinab. Es war kein Mensch zu sehen. Hans Lüddecke und seine Verfolger waren in einem Wäldchen verschwunden.
    Doch als Meinhard auf der Erde stand, brach die Hölle los. Dutzende von Frauen schwärmten auf ihn zu, kreisten ihn ein mit ihren Stangen, Hacken und Picken und traktierten ihn mit schlimmen Worten wie mit ihren Waffen. »Du bist schuld an allem, und du sollst es büßen!«
    Sie stießen ihn zu Boden und banden ihn an Händen und Füßen.
    Nicht anders aber war es auch dem Lüddecke ergangen. Jetzt lag er, an einen Pfahl gebunden, am Boden. Sein Lederkoller klebte von Staub und Blut und war zerschlitzt, denn er hatte sich gewehrt wie ein Bär, und die Granseer hatten ihm Schienen und Panzer vom Körper gerissen, um ihn grün und blau zu schlagen. Nach zwei Fluchtversuchen hatten sie ihm die Stricke so fest um die Hände geschnürt, daß es blutete. Jetzt trieben sie ihn vor sich her, der Stadt entgegen. Vor dem Wartturm prallten die beiden Züge aufeinander, die Männer mit Hans Lüddecke und die Frauen mit Meinhard von Attenweiler.
    Meinhard musterte Hans Lüddecke. Wie alle, die dem grimmigen Manne erstmals ins Gesicht sahen, fuhr er zurück. Hans Lüddecke war mehr gedrungen als groß und fast kahl, denn er war nicht mehr jung. Der breite Mund mit einem Gebiß, das einem Wolf alle Ehre gemacht hätte, war von einem struppigen roten Bart umrahmt, in den tiefen Augenhöhlen funkelten seine kleinen, bösartigen Augen.
    Die Frauen fuhren auf ihn los. »Du Räuber, du! Nun ist es aus mit dir!«
    Hans Lüddecke lachte nur. »Die Walpurga, sieh einer an. Hast du deine Weisheit vom Blocksberg mitgebracht, du alte Hexe? Ich hab dich heimreiten sehen in der Walpurgisnacht.«
    »Die sieben Raben über deinen Leichnam, du gottvergessenes Schandmaul, du!« Sie wollte sich auf den Raubritter stürzen, doch starke Arme rissen sie zurück.
    »Still! Achtung!« rief der Kämmerer Jochen Krickeberg. »Der Mann ist unter dem Bann der Stadt und ist ihrem Spruch und Recht verfallen. Wer Hand an ihn legt, legt Hand an das Recht der Stadt. In den Turm mit ihm!«
    Nach der Festnahme Hans Lüddeckes fanden sich die vornehmsten Bürger Gransees beim Altbürgermeister Andreas Grote ein. Der Greis genoß in der gesamten Mark ein hohes Ansehen, und sein Rat fand stets Gehör. »Es war besser ehedem. Diese Ritter waren immer schon wilde, jähzornige Gesellen, und ihre Faust aus Eisen lag schwer auf dem Schwachen. Sie neideten uns Bürgern das städtische Leben, und sie haßten uns. Aber der Markgrafen Arm war noch aus Stahl. Die faßten sie und schüttelten sie und schauten ihnen zornig ins Gesicht. Da wurden die Herren Ritter rot und schämten sich, und die Stimme ihres Fürsten drang ihnen ins Gewissen. Sie hatten ein Herz für unser Land und seine Ehre, und wo der Markgraf sie rief, da standen sie wie eine Mauer um ihn. Das war ein wahrer Adel damals, doch heute sind das nur die wahren Räuber!«
    »Wie sollen sie sich auch um Markgraf Ludwig scharen«, sagte Jochen Krickeberg, »wo er nie im Lande ist, sondern immer nur in Bayern und Tirol.«
    Andreas Grote strich sich mit der knochigen Hand über die Stirn und sah auf die Wiesen und Wälder hinaus. »Ja, ihr Jungen, Waldemar, das war noch ein Markgraf … Groß war er nicht, doch wo er hintrat, erbebte die Erde. Und welch ein Blick! Wen er anschaute, der schlug die Augen nieder. Er las dir die Gedanken aus der Seele und wußte, was du denken wolltest. Uns liebte er. Die Städte waren seine Kinder, die warmen Nester, drin er das Gute und Tüchtige gepflegt sah. Markgraf Waldemar –

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