Der Letzte Askanier
Gott sei gnädig seiner Seele! – war ein großer Held, ein erhabener Fürst, der größte in diesen Marken, ein Schrecken seiner Feinde, aber unser Freund, ein Freund aller Bürger.« Der alte Mann schwieg vor Rührung.
Ein Schmiedemeister brach die Stille. »Die Marktleute aus Ruppin erzählen, daß er auferstanden ist und von Magdeburg her durchs Land gezogen kommt. Große Herren sind bei ihm. Und wo sie ihn zuerst nicht einlassen wollen, da reißen sie nachher die Tore auf, wenn er mit den Verständigen und Vornehmen verhandelt hat.«
Andreas Grote schüttelte den Kopf. »Schweigt mir von dieser Mär.«
»Der Erzbischof von Magdeburg hat es an alle geistlichen Herren und Klöster schreiben lassen«, wußte Jochen Krickeberg.
»Was kann ein Pfaff nicht alles schreiben lassen«, murmelte der alte Bürgermeister und sank in ernste Gedanken.
»Wer lebt denn noch, der ihn kannte?« fragte der Schmied.
»Es leben nur wenige«, begann Andreas Grote. »Ich zum Beispiel, ich habe ihn gekannt im Leben und im Tode. Dreimal sah ich ihn, und wer ihn nur einmal sah, der vergißt's nie wieder. Das erste Mal, das war die Huldigung in Spandau. Wie lachte da sein Auge. Der Lebensbaum der Askanier stand da in voller Blüte noch, doch dann wurden die Straßen nicht mehr leer von Leichenzügen …«
»Und wo war's das zweite Mal, daß du ihn sahst?« fragte Jochen Krickeberg.
»Dort war's, ihr Bürger, vor unseren Toren, vor zweiunddreißig Jahren. Ein Mecklenburger riß mit seinem Schwert die Weichen seines Pferdes auf. Gräßlich zu schauen, wie das Tier verreckte. Waldemar lag seitwärts in Blut und Eingeweiden. ›Ergib dich!‹ schrie ein Ritter in schwarzer Rüstung, der ihn nicht erkennen konnte, wer er war, so sehr war er bespritzt mit Schmutz, und das Haar verhüllte sein Gesicht. Da fuhr der fremde Degen nieder und streifte Stirn und Wange des Fürsten. Die Narbe nahm er mit ins Grab. ›Judas!‹ schrie Waldemar. ›Ich bin dein Herr und Fürst.‹ Da sank der Arm des Ritters nieder, und er sprengte davon. Weiß auch bis heute niemand, wer es gewesen, denn Waldemar mochte seinen Namen nicht nennen.«
Der Kämmerer faßte Andreas Grote sanft unter den Arm und hob ihn vom Stuhl. »Ja, Waldemar ist tot. Laßt ihn ruhen und uns nach Hause gehen.«
»Tot«, wiederholte Andreas Grote. »Aber nicht in der Schlacht vor unseren Toren ist er gestorben. Die überlebte er, aber drei Jahre später verlor er die Schlacht gegen den Tod. Da war es, wo ich ihn zum dritten Mal sah: Nachts im Kreuzgang von Chorin. Die schwarzen Männer trugen den Sarg. Die Glocken haben nie so traurig in die Nacht geläutet. Man meinte, die Sterne am schwarzen Himmel hätten geweint. Kein falscher Toter wurde damals eingesargt, es war Waldemar, der Markgraf von Brandenburg, der letzte Askanier. Den haben sie begraben, und der da lebt, das ist ein falscher. Ich, Andreas Grote, bürge euch dafür, ihr Männer von Gransee.«
Auf dem steinernen Boden des Stadtgefängnisses schlief Hans Lüddecke so fest, als läge er im riesigen Bett seines Großvaters im roten Haus. Das karge Lager störte ihn wenig, denn oft genug verbrachte er die Nacht in den Schenken auf der Bank oder, wenn er noch besoffener war, im Gebüsch am Wegesrand. Märkisches Urgestein war er, und nichts und niemand konnte ihn in seinem Glauben erschüttern, daß er das gottgegebene Recht zu allem hatte, wonach ihn gelüstete. Wenn die Granseer ihm etwas anhaben wollten, dann war das so lächerlich, als würde man mit einem rohen Ei einen Stein zertrümmern wollen.
Als der Wärter seine Zelle aufschloß, ihn am Kragen packte und grob rüttelte, grunzte er nur, ohne zu erwachen. Auch die Sonne, die durchs Gitter schien, hatte ihn nicht wecken können, schon gar nicht der schwarze Mönch, ein Minorit, der mit dem Meßbuch in der Hand auf einem Hocker neben ihm saß.
Nun schlug er doch die Augen auf, schloß sie aber sofort wieder, fluchte gotteslästerlich und drehte sich aufstöhnend zur Seite, als er die nassen grauen Mauern um sich sah.
Der Minorit nutzte die Gelegenheit, beugte sich über ihn und sprach ihm das Gebet ins Ohr.
Hans Lüddecke ließ das einen Moment mit sich geschehen, dann fuhr er hoch: »Verschwinde und komm mir nicht mehr in die Quere, sonst …!« Nur die Ketten verhinderten, daß er dem Minoriten in den Hintern trat. Der zog ab, nicht ohne ihm vorher noch den Segen zu erteilen.
Hans Lüddecke richtete sich auf, so gut es ging, und schüttelte sich wie ein
Weitere Kostenlose Bücher