Der Letzte Askanier
Stehlen angewiesen und müssen davon leben – auf unsere Kosten.«
»Ihro markgräfliche Durchlaucht«, nahm jetzt der alte Strobant das Wort. »Wie es bei den Mühlen ist, das kann nicht jeder wissen. Ehedem schüttelten sie das Mehl, und was abfiel, das nannten sie Staub, und das blieb das ihre. Nun schütteln sie nicht mehr, sondern nehmen ein kleines Brett und streichen oben ab.«
»Wo steht denn geschrieben, daß der Staub, wie ihr das nennt, Eigentum der Mühlknappen wird?« fragte Rehbock.
»Das ist so von alters her, gnädigster Herr.«
»Wenn es schlecht ist, muß man es dennoch ändern.«
»Ja!« Ein anderer Bürger trat neben Balzer Brodowin. »Und außerdem nehmen sie nicht immer ein Brett zum Abstreichen, sondern zumeist ein Messer.«
»Aha!« Natürlich kannte Rehbock das. »Und nicht mit der Schärfe, sondern dem Rücken.« Als ihm bewußt wurde, wie verräterisch das war, fügte er schnell hinzu: »Im Heiligen Land haben wir's öfter so gemacht.« Mit dem krummen Rücken des Messers ließ sich nämlich wesentlich mehr Mehl aus den Gefäßen streichen als mit der graden Schneide. Um sich nicht zu verraten, stand er schnell auf und hieß seinen Kanzler, eine Urkunde auszustellen, der gesamten Bürgerschaft zum Nutzen, daß sie an den landesherrlichen Mühlen am Mühlendamm von allem befreit würden, was sie bisher über die gerechte Mahlmetze hinaus entrichteten.
Das und vieles andere brachte Rehbock den Beifall der Berliner ein, aber Nienkerken fürchtete, daß der Rat womöglich verschnupft sein würde und ihm die Gelder verweigerte, die er ganz dringend brauchte, um die Fehde gegen Ludwig erfolgreich zu Ende zu führen und die Güter wieder einzulösen, die ihm rechtens gehörten.
»Ich schaffe das schon.« Rehbock konnte ihn beruhigen, denn er fühlte sich obenauf, nachdem er die Szene mit den Müllern so bravourös gemeistert hatte. Und seine Rede an den Rat war denn auch sehr gut.
»Fast nackt kam ich aus heidnischer Gefangenschaft zurück, ihr Herren, und was soll ich da viel Worte machen um das Geld, das ich nicht haben kann. Von fremden Fürsten kann ich mir schon welches leihen, sicher, aber diese Hände wollen, wir ihr wißt, ja nicht nur geben, sondern nachher auch nehmen. Und kein Brandenburger kann doch eigentlich wollen, daß sein Land bald nur noch ein Flickenteppich ist. Nein, meine Untertanen müssen mir helfen, Mann für Mann, und mir Treue schwören.«
Da riefen die Ratsmannen wie mit einer Stimme: »Wir halten treu zum Haus Askanien!«
Schließlich bekam er ein ausreichendes Darlehen zusammen – 207 ½ Pfund, 6 Schillinge und 48 ½ Mark Brandenburgisch Silber –, und er verschrieb ihnen dafür in einer Urkunde alle Bede und alles Bedekorn auf dem Teltow und um Bernau herum und alle Abgaben aus den Dörfern Tempelhof, Mariendorf und Marienfelde sowie einigen Gehölzen.
»Nun laßt uns endlich tafeln!« rief er aus, als das von den Schreibern alles festgehalten war.
Die Alltagsarbeit eines Fürsten war Rehbock nicht gewohnt, und da er fast schon am Ende seines sechsten Lebensjahrzehnts angekommen war, überfiel ihn immer wieder die Angst, sich bei allem übernommen zu haben. Mal raste sein Herz, mal schien es auszusetzen, und wenn er nicht unter Atemnot litt, dann unter Gallenschmerzen. Da sehnte er sich dann nach dem Frieden und der Ruhe seines Pilgerlebens zurück. Doch war es denn seine Entscheidung gewesen, der Waldemar sein zu wollen? Nein, das war ihm vom Herrn Jesus Christus auferlegt worden; dessen Werkzeug war er nur. Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen noch tritt auf den Weg der Sünder noch sitzt, da die Spötter sitzen, sondern hat Lust am Gesetz des Herrn und redet von seinem Gesetz Tag und Nacht! Der ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht; und was er macht, das gerät wohl.
Ja, Jakob Rehbock hatte das Gefühl, daß ihm das wohlgeraten war, was er heut in Berlin getan hatte. Jetzt, da die Sonne längst versunken war, saß er bei Kerzenlicht allein in seinem Raum im Hohen Haus, bis zum Unwohlsein erschöpft, und dachte an Jerusalem zurück. Als er die Augen schloß, um sich einem kleinen Schlummer hinzugeben, sah er wieder alles vor sich und hörte die Pilger vor der Grabeskirche das Palästina-Lied anstimmen.
Oh, wie ich fortan leben werde,
seit mein sündig' Auge sieht
das heil'ge Land und auch die Erde,
der man so viel Ehren gibt.
Mir widerfuhr,
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