Der letzte Aufguss
gewesen? Waren es vielleicht seine eigenen Schritte, die ihm,
übernächtigt, wie er war, wie die eines Verfolgers vorgekommen waren? Seine
eigenen Ledersohlen, die so laut knallten, dass ihr Schall auf ihn
zurückgeworfen wurde? Oder war es bloà seine Angst, die ihm einen Streich
spielte?
Er straffte die Schultern, schüttelte den Kopf, um die dummen
Gedanken hinauszukatapultieren, und setzte seinen Weg zum Hausboot fort. Wieder
waren die Schritte zu hören, doch sie kümmerten ihn nicht mehr.
Zuerst.
Dann variierte er seinen Rhythmus, baute Zwischenschritte ein, um
die Bestätigung des Echos zu erhalten, den Spuk zu entlarven. Doch die
Schritte, die ihm folgten, hielten ihren gleichmäÃigen Rhythmus bei.
Jetzt wurde es dem Professor zu blöd â und er beschloss den SpieÃ
umzudrehen. Ein Adalbert Bietigheim lieà sich nicht jagen wie die Maus von der
Katze! Nicht in einer Universitätsstadt wie Cambridge, seinem Terrain. Also
ging er den Schritten entgegen. Sie stoppten. Dann hörte er das metallische
Geräusch einer Schusswaffe, die entsichert wurde.
Und machte umgehend kehrt.
Denn er besaà keine Waffe.
Mit einem Mal schien kein Blut mehr durch seine Adern zu flieÃen,
sondern Angst, giftig wie Quecksilber. Von nun an wollte er nichts anderes, als
sich so schnell wie möglich von den Schritten zu entfernen. Ein tragbares
Telefon wäre nötig gewesen, um die Polizei zu rufen oder Pit. Erstmals
verfluchte er seine Abneigung gegenüber der modernen Technik.
Doch nun mochte es bereits zu spät sein.
Er könnte irgendwo klingeln, doch bis ihm jemand öffnete, hätte ihn
sein Verfolger vielleicht schon eingeholt.
Oder sich so weit genähert, dass er ihn erschieÃen konnte.
Er musste rennen.
Sein Verfolger rannte auch.
Der Professor nahm nicht wahr, wohin er lief. Bloà weg von den
Schritten, die manchmal von überallher zu kommen schienen. Mit einem Mal stand
er vor dem Cam, und zwar in einer Sackgasse. Keine Brücke in Sicht. Kein
Uferweg. Nur Mauern ringsum, fensterlose Häuserrückseiten.
Und vor ihm im Wasser ein Punting-Boot, bis zur Oberkante mit
Flüssigkeit gefüllt.
Die Schritte näherten sich, wurden lauter. Bietigheim rief um Hilfe.
Auf Englisch. Auf Französisch. Auf Italienisch. Auf Mandarin. Auf Deutsch.
Keine Tür öffnete sich, kein Fenster. Keine Hilfe, nirgends.
Die Schritte wurden schneller.
Der Mond goss silbernes Licht auf die Pflastersteine und den Fluss,
wie seit Jahrhunderten. Doch eine solche Szenerie, eine solch ausweglose
Situation hatte er noch nie beschienen.
Dann fiel das Mondlicht auf den Lauf einer Pistole.
Die genau auf das Herz des Professors zielte.
Doch Bietigheim tat etwas, womit sein Verfolger niemals gerechnet
hätte: Er sprang über seinen Schatten. Und mit kompletter Kleidung in den
schwarz wie Teer dahinflieÃenden Cam.
Das würden die feinen Stoffe und die teuren Schuhe nicht überleben.
Doch es galt, Prioritäten zu setzen. Das eigene Leben oder die eigene Kleidung.
Schweren Herzens hatte Bietigheim sich für sein Leben entschieden.
Die Kälte des Flusswassers drückte die Luft aus seinen Lungen, und
Sekunden später hatten sich die Stoffe an seinem Körper vollgesogen und zogen
ihn Richtung Grund. Doch Bietigheims Schwimmzüge waren kraftvoll und stetig.
Erst als seine Hand das gegenüberliegende Ufer berührte, tauchte er langsam
wieder auf â allerdings nur, um kurz Luft zu schnappen.
Sein Verfolger stand noch auf der anderen Seite und suchte mit
erhobener Waffe den Fluss nach dem Professor ab. Bietigheim beschloss,
unauffällig im Wasser zu warten, bis der andere wieder verschwunden war.
Eigentlich war es viel zu kalt, und es dauerte viel zu lang. Doch ein Gutes
hatte das Versteckspiel: Für einen Moment schien das Mondlicht nicht nur auf
den Pistolenlauf seines Verfolgers.
Sondern auch auf dessen Gesicht.
Meister MusŠKokushi blickte auf die Einladung in seinen Händen.
Doch, die Adresse stimmte â soweit man von einer Adresse sprechen konnte. Das
Pub-Quiz sollte tatsächlich auf diesem Schiff stattfinden, der »God Save The
Queen«, und zwar merkwürdigerweise nicht am Abend, sondern jetzt, am frühen
Nachmittag.
In diesem Moment erschien Professor Bietigheim an Deck und winkte
ihn zu sich.
»Immer herein in die gute Stube! Wir haben nur noch auf Sie
gewartet.«
Kokushi ging an Bord und stieg hinter
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