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Der letzte Aufguss

Der letzte Aufguss

Titel: Der letzte Aufguss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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einen Zweitschlüssel. Soll ich
Ihnen beim Suchen helfen?«
    Â»Wie ich Töler kenne, besteht dazu keine Notwendigkeit.«
    Schon als er dessen Büro betrat, wusste Bietigheim, dass er recht
hatte. Töler hatte sämtliche Unterlagen penibel in die Regale geräumt, sodass
es für Bietigheim ein Leichtes war, das Gesuchte herauszuziehen und die
benötigten Passagen zu lesen. Es ging darum, welcher Rechner zu welcher Zeit im
Institut angeschaltet gewesen war. Und nach einem kurzen Anruf bei Rena
schaffte er es auch, die Ausdrucke mit den entsprechenden Dateien im Computer
zu vergleichen. Dabei fand er heraus, dass diese manipuliert worden waren.
    Die tektonischen Platten stellten ihre Bewegung komplett ein. Der
Täter war gefunden. Nun musste Bietigheim es nur noch schaffen, dass auch alle
anderen seiner Meinung waren.
    Vor allem Scotland Yard.
    Der Professor sprang über seinen Schatten und verabschiedete sich
bei Asha Ghalib mit einer Umarmung. Nun hieß es den richtigen Moment abwarten,
um aus dem Institut zu gelangen, ohne Töler über den Weg zu laufen.
    Nur eine Sache musste er vorher noch regeln. Wie gut, dass Colin
gerade aus seinem Zimmer trat. »Bitte überreichen Sie Töler diese Einladung. Es
geht um ein Pub-Quiz bei dem der Mörder meiner Vorgänger enttarnt wird. Stellen
Sie sicher, dass er auch wirklich kommt. Am besten begleiten Sie ihn. Und legen
ihm Handschellen an. Kann ich mich auf Sie verlassen?«
    Colin lächelte. »Und wenn ich ihn in einen Sack stecken und
hinschleppen muss.«
    Â»Das«, antwortete Bietigheim, »ist vielleicht gar nicht die
schlechteste Idee.«
    Es war Colin, der sich nach langem Horchen an der Tür traute, diese
zu öffnen. Er ging zur Sicherheit sogar einige Schritte im Treppenhaus hinauf
und hinab.
    Die Luft war rein.
    Von Minzeduft und Töler.
    Beide hatten das Gebäude verlassen – vielleicht versuchte Töler,
eine Ramme sowie Wikinger aufzutreiben, um das Institut wieder einzunehmen.
    Auf Nebenwegen gelangte der Professor zum St Johnʼs College. Denn es
war kurz vor halb sieben am Abend – was bedeutete, dass der Master in der
Kapelle sein würde, um dem täglichen Evensong des College-Chores zu lauschen.
Danach würde dieser zum Treffen der College-Master eilen. Dem Professor blieb
nur die Chance, ihn auf dem Weg zwischen diesen beiden Terminen abzufangen.
    Hunde waren in der Kapelle leider nicht erlaubt – deshalb gab der
Professor Benno von Saber beim Pförtner ab. Mit den Worten: »Ist ein ganz
Braver.« In Gedanken fügte er hinzu: Wenn er schläft.
    Irgendwie kam ihm der Pförtner bekannt vor. War das nicht … ja, ganz
bestimmt! Es war Beatrice Ponds Ehemann, der Hundeallergiker.
    Bietigheim ging schnell davon.
    Die Kapelle des St Johnʼs College war nicht zu übersehen, ihr Turm
mit fünfzig Metern das höchste Gebäude der Stadt. Schon von außen waren die
Stimmen des College-Chores zu hören. Sie sangen bereits das zweite Stück – eine
Vertonung des Psalms 85 von Alan Hemmings. Gemäß der Ankündigung würden noch
das »Magnificat« und das »Nunc dimittis« in a-moll von T. Tertius Noble,
Bruckners »Christus factus est« und Hymn 94 folgen. Bietigheim trat durch die
Vorkapelle in das prachtvolle Holzschiff, in dem sich links und rechts das aus
dunklem Holz gefertigte Chorgestühl erhob. Die hohen farbigen Fenster ließen
sanftes Licht herein und verliehen der Kapelle eine ganz besondere Atmosphäre.
Die Stimmen des weltberühmten Chores erstrahlten auf beinahe himmlische Weise,
und wer immer ein Fünkchen Glauben in sich trug, der fühlte nun, wie es sich
entzündete. Von allen Instrumenten, dachte Bietigheim in diesem Moment, ist die
menschliche Stimme doch das göttlichste.
    Er wählte einen Platz nahe am Gang, damit er sich sofort zum Master
gesellen konnte, wenn dieser vorbeischritt. Berühmte Ehemalige und Wohltäter
des Colleges blickten von den Wänden auf ihn herunter. Auch andere Blicke
trafen ihn, von lebenden Professoren, Studenten und sogar Touristen.
    Er hatte es innerhalb kürzester Zeit geschafft, eine Berühmtheit zu
werden.
    Einer der Studenten verließ allerdings den Evensong, sobald er
Bietigheim ausgemacht hatte. Vielleicht holte er sein Autogrammsammelbuch?
    Hoffentlich nicht, dachte der Professor.
    Bei Bruckner konnte er nicht anders als mitzusummen. Das

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