Der letzte Aufguss
aber, dass es
heute sein würde. Ansonsten hätten wir den Umschlag morgen früh wieder abgeholt
und einen neuen hinterlassen.«
»Sie wollen mich wegen der Morde an meinen Vorgängern sprechen, so
viel ist mir klar.«
Jetzt meldete sich Oz Clarke, Hüter des Käses, zu Wort, ein kleiner,
pummeliger Student, bei dem die Kopfhaut die Produktion von Haaren bereits
groÃflächig eingestellt hatte. »Wir reden über nichts anderes mehr. Vorher war
das hier ein echt mauer Haufen, wir waren nahe dran, uns aufzulösen. Aber dann
kam Gott sei Dank der erste Mord!« In dem Moment wurde ihm klar, was er da
gerade gesagt hatte. »Also, das war natürlich ⦠schrecklich, ganz schrecklich.
Der arme Earl.«
Robert Parker blickte zu Joel Payne: »Dein Auftritt.«
Der Hüter des Geheimwissens schaltete seinen Laptop an und startete
eine Powerpoint-Präsentation. »Wir haben versucht, Gemeinsamkeiten zwischen den
beiden Opfern zu finden â auÃer dass sie dieselbe Stelle innehatten. Was könnte
das Motiv sein, beide umzubringen, und warum auf diese exaltierte Art?«
»Wir sind in England«, warf der Professor ein. »Exzentrik wird hier
hoch geschätzt. Sie nennen es Spleens.«
Joel Payne antwortete mit einem unsicheren Lächeln. »Wir haben
unsere Anstrengungen schlieÃlich auf Grüntee konzentriert, um genau zu sein:
Matcha-Tee. Also die pulverisierte Art â¦Â«
»Wagen Sie es nicht noch einmal, mich über Tee zu belehren, sonst
verlasse ich sofort dieses Etablissement!«
»Entschuldigung.« Payne räusperte sich. »Selbstverständlich wissen
Sie alles darüber. Der Earl und Cleesewood haben ihren Forschungsschwerpunkt
vor drei Jahren beide auf Matcha-Tee gelegt. Es war ein gemeinsames Projekt.
Sie nahmen sogar Kontakt zu einem Superstar der Teekultur auf: dem japanischen
Teemeister MusÅ Kokushi. Bei dem Forschungsprojekt widmete sich der Earl mehr
der kulturellen Dimension, vor allem der hochkomplexen japanischen
Teezeremonie, wohingegen Cleesewood interdisziplinär forschte, besonders
hinsichtlich der Wirkungsweisen und des Gesundheitsaspekts. Unterstützt wurde
Letzterer übrigens von einem deutschen Kollegen, einem Herrn Professor Töler.«
Verdammt!, dachte Bietigheim.
Jetzt meldete sich Serena Sutcliffe zu Wort. Sie wirkte wie die
geborene Klassenbeste. »Was uns jedoch verwirrt: Wenn der Mord mit grünem Tee
in Zusammenhang steht, warum wurden die Leichen dann in einem Aufguss aus
weiÃem Tee gefunden? Dieser Spielart des Tees hat sich keiner der beiden
besonders gewidmet. Zumindest nicht, dass wir wüssten. Cleesewood hatte wohl
ein geheimes Forschungsprojekt, in dem es um weiÃen Tee gegangen sein könnte,
doch keiner weià etwas darüber.«
»Oder erzählt Ihnen davon.«
»Ja, das ist ebenso gut denkbar.«
Es folgten Darstellungen, Törtchendiagramme und Säulengrafiken,
Fotos und allerlei Informationen, die von der Society zusammengestellt worden
waren.
Bietigheim erfuhr, dass der Earl kurz vor seiner Ermordung im
Pickerel Inn gesehen worden war, und zwar am Samstag um 21.14 Uhr. Er war
bereits mächtig angetrunken und in einer unglaublich groÃkotzigen Laune
gewesen. Seitdem hatte die Society dieses Lokal als Treffpunkt auserkoren.
Cleesewood dagegen war zuletzt um 17.53 Uhr im Institut gesehen worden â von
seiner indischen Sekretärin, die ihren Schreibtisch um diese Zeit verlieÃ. Nach
Bietigheims Meinung gehörte sie ins Guinness-Buch der Rekorde für den miesesten
Tee aller Zeiten.
Bietigheim beschloss, einen Testballon loszulassen. »Was wissen Sie
über die sechste Schale?«
»Das war ein Running Gag von Cleesewood«, erklärte Jancis Robinson,
eine schlanke Frau mit schwarzen Korkenzieherlocken, die Michael Broadbent die
ganze Zeit kaum eine Sekunde aus den Augen gelassen hatte. »Nach fast jeder
Vorlesung sagte er: Und denkt immer an die sechste Schale! Er hielt das für
lustig, obwohl keiner von uns wusste, was es zu bedeuten hatte. Humor war nicht
gerade seine Stärke. Wieso fragen Sie?«
Bietigheim genoss es, für überraschte Blicke zu sorgen. »Ich habe
mir Zugang zu sämtlichen Unterlagen meiner Vorgänger verschafft und immer
wieder Hinweise darauf gefunden.«
»Sie haben sämtliche �« Robert Parker sah ihn an wie ein
Philatelist, der zum ersten Mal den Besitzer einer blauen
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