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Der letzte Aufguss

Der letzte Aufguss

Titel: Der letzte Aufguss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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Ecke, nee, die ist zu klein für dich, nimm die
da, und rühr nichts an, verstanden?«
    Sie hatte wirklich eine wunderschöne Stimme. In all ihrer
Bestimmtheit und Schärfe doch sanft. Ein wohlklingender Alt.
    Fünf Minuten später erschien ein Typ vor ihm, der aussah wie Frank
Zappa. In noch irrer. Seine Löwenmähne stand in alle Himmelsrichtungen ab, doch
sein Anzug aus feinstem Zwirn saß perfekt, in den dunklen Lederschuhen konnte
Pit sich spiegeln. Kevin sagte nichts, keine Begrüßung, keine Frage, er trat
nur ganz nah an Pit heran, bis sich ihre Nasenspitzen fast berührten. Dann
blickte er ihm so tief in die Augen, als suche er auf deren Grund nach
gesunkenen Piratenschiffen.
    Kevin nickte kurz, brummte und verließ das Tea House.
    Â»Sie sind offiziell eingestellt«, erklärte Auntie.
    Â»Will denn hier niemand wissen, was ich über Tee weiß?« Habe ich mir
den ganzen Mist etwa umsonst reingebimst?, wollte Pit sagen, ließ es aber
bleiben.
    Â»Es reicht, wenn du weißt, wie du ihn tragen musst. Bei uns werden
sowieso meist nur zwei Sorten getrunken. Normaler Schwarztee, dann sagen sie
Leute einfach Tee, und Earl Grey, dann sagen die Leute einfach …«
    Â»â€¦Â Earl Grey.«
    Â»Du hast ja ein richtig schlaues Köpfchen, Dicker. Heute Nachmittag
um sechzehn Uhr beginnt deine erste Schicht, bis dahin arbeite ich dich ein.
Als Erstes heißt es jetzt für dich abräumen und spülen. Heute ist fürchterlich
viel zu tun.«
    Â»Eine Frage noch. Ganz kurz.«
    Â»Schieß los.«
    Â»Den weißen Tee vorne im Regal, kaufen den viele? Der ist doch so
teuer?«
    Â»Nee, kaum einer. Vielleicht ein Kunde pro Monat. Ein echter
Ladenhüter ist das.«
    Â»Wahrscheinlich war der letzte Käufer ein Ölscheich, der gerade in
Cambridge zu Besuch war.«
    Sie sah ihn schief an. Und Pit bemerkte erstmals, wie wunderschön
ihre Augen waren.
    Dann verriet sie ihm, wer der letzte Käufer gewesen war.
    Bevor sie ihm ihre Rückseite zudrehte.
    Und die machte Pit vollends sprachlos. Er schaffte es nur gerade so,
nicht hineinzukneifen.
    Der Professor hatte sich auf den Weg nach Newmarket begeben, die
Heimat des englischen Pferdesports. Dort lag der National Stud, eine
Hengstparade von Weltniveau. Benno hatte er lieber zu Hause gelassen – mit
einem frisch beim Metzger gekauften Knochen. Der Foxterrier mochte keine
Pferde. Sie hatten zwar vier Beine wie er, aber ihr Kopf befand sich seiner
Meinung nach zu hoch über dem Erdboden. Der Professor besuchte allerdings nicht
in erster Linie Pferde, sondern eine Frau, die sich ihnen verschrieben hatte:
Elisabeth Freeman, Countess von Shropsborough, die Witwe des verstorbenen
Earls.
    Sie lebte nicht in einem Haus, sie lebte nicht in einer Villa, sie
lebte auf einem Anwesen. Die kiesbedeckte Auffahrt war länger als Chile.
    Kaum eine Sekunde, nachdem der Professor eine güldene Klingel
betätigt hatte, öffnete eine Bedienstete in spitzenbedeckter Kittelschürze die
Tür. Vermutlich saß sie den ganzen Tag dahinter auf der Lauer.
    Â»Professor Bietigheim, die Countess freut sich über Ihre
Gesellschaft. Sie werden bereits zum Tee erwartet.«
    Bietigheim war überrascht, ließ es sich aber nicht anmerken.
Stattdessen blickte er vorwurfsvoll auf das Zifferblatt seiner Taschenuhr.
    Â»Ist es nicht ein wenig spät für Tee?«, fragte er und drückte ihr
seinen Mantel in die Hand. »Gut, es heißt Five oʼClock Tea, aber in der Regel
wird dieser doch eine Stunde früher, um vier Uhr gereicht.«
    Die Bedienstete würdigte diese Belehrung keines Kommentars. »Bitte
folgen Sie mir in den Stutensalon.«
    Der Stutensalon hatte die Größe einer Weide. Am anderen Ende stand
die Countess. Sie war nicht völlig unattraktiv, doch ihre offensichtlich
geliftete Haut spannte so über den hohen Wangenknochen, dass sie ein bisschen
an die Pelle einer frisch gebrühten Fleischwurst erinnerte. Ihre Kleidung
bestand aus einer Art Gardine in Weiß, leicht durchsichtig. Darunter trug sie
augenscheinlich nichts. Neben ihr stand ein Scottish Deerhound, der aussah, als
fräße er zum Frühstück eine ganze Kuh. Und ihren Melker hinterher.
    Â»Herzlichst willkommen!«, rief sie ihm zu. »Endlich lerne ich den
Lebensmüden kennen. Ich habe mich schon gefragt, ob ich Sie noch früh genug zu
Gesicht bekomme. Sie sind ein mutiger Mann. Diese

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