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Der letzte Aufguss

Der letzte Aufguss

Titel: Der letzte Aufguss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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Hartplastikkiste«, erklärte Pit. »Die
muss ich noch anschließen und zum Laufen bringen. Ich hab einfach alles aus dem
Zentralarchiv mitgebracht.«
    Â»Aber da war doch dieser Drachen, dieses Ungeheuer, dieser Zerberus,
der sie bewacht hat!«
    Â»Richtig nette Frau. Und attraktiv. Sehr proper. Genau mein Typ.«
    Â»Sie sieht aus wie eine Kröte! Die gerade eine fette Fliege
verschluckt hat.«
    Â»Quatsch, ein Vollweib. Von so was haben Sie keine Ahnung,
Professore.«
    Doch, dachte Bietigheim, das hatte er sehr wohl. Schließlich liebte
er seit Ewigkeiten Hildegard zu Trömmsen, die Herrin der Hamburger High
Society. Eine Frau exquisiter Klasse.
    Â»Hat Töler Ihnen gar nicht aufgelauert?«, wollte Bietigheim nun
wissen.
    Â»Der kennt mich doch gar nicht.«
    Â»Und am Empfang?«
    Â»Die dachten, ich sei ein Bote. Ich hatte mir extra ein Paket unter
den Arm geklemmt.«
    Â»Ich werde Sie nicht aus Dankbarkeit umarmen. Einmal pro Jahr ist
völlig ausreichend.«
    Â»Ist schon okay, ich fühl mich trotzdem geknuddelt.«
    Pit nahm seine schwarze, nietenbesetzte Lederjacke vom Haken und
machte sich auf den Weg zu seinem Taxi. Bietigheim stürzte sich währenddessen
in die Aktenberge wie ein Pinguin ins Meer. Das Aktenmeer war riesengroß und
unübersichtlich, mit vielen Untiefen und Wellen, die einen von hier nach dort
spülten. Vom Earl gab es mehr Fernsehaufzeichnungen als Arbeiten, und in den
Dokumenten von Cleesewood tauchte immer wieder eine mysteriöse »sechste Schale«
auf. Mal als Randbemerkung, mal als Zeichnung. Was sie war, darüber schwiegen
sich die Unterlagen leider aus.
    Die Zeit verging wie im Flug, bis Pit mit drei prachtvollen Vacherin
dʼEpoigey zurückkehrte – der Käsethekenmitarbeiter hatte ihm diese zum Preis
von einem gegeben, weil sie für Professor Bietigheim waren, den Mann, der die
größte Mordserie in der französischen Käseszene aufgedeckt hatte. Bietigheim
packte sie flugs ein, denn es war bereits halb zehn.
    Das Treffen der Port Wine Society fand im hellblau gestrichenen
Pickerel Inn statt, dem ältesten Pub Cambridges. Es lag an der Magdalene
Street, unweit des Cam, und stammte aus dem 16. Jahrhundert. Einst war es
Opiumhöhle und Bordell gewesen. Heutzutage ging es jedoch gesitteter zu – man
servierte sogar Caesar Salad. Die Decken aber waren immer noch so niedrig wie
eh und je, die hölzernen Alkoven wurden durch Kerzenlicht erhellt, die
sepiafarbenen Fotos von Teams des Magdalene-College und die Bierwerbungen
hingen sicher schon seit Jahrzehnten hier.
    Das Pickerel Inn war berstend voll. Die Leute tranken Bier, vor
allem Ale, Bietigheim konnte allerdings weder Portwein noch Blauschimmelkäse
irgendwo sichten. Er suchte die Ecken ab – wobei es ihn nicht gewundert hätte,
irgendwo das schemenhafte Glühen eines Geistes zu sehen, der den vielstimmigen
Pub-Chor belauschte.
    Â»Herr Professor?”«, erklang eine dünne Stimme hinter ihm. »Wir sind
im Hinterzimmer. Folgen Sie mir einfach, ich schlage eine Bresche.«
    Als Bietigheim sich umdrehte, stand dort der rotzfreche, Koteletten-tragende
Lümmel von der »Cambridge Evening News«, der ihn am Cam interviewt hatte.
Michael Broadbent. Er trug einen Tweedanzug.
    Wie eine Schlange wand sich der junge Mann durch die Menge und
führte den Professor zu einer mit den Jahren schwarz gewordenen Eichenholztür,
hinter der ein kleiner Raum lag. Auf dem Tisch standen Portwein und
Stilton-Käse, drumherum saßen sechs Personen, dem Alter nach Studentinnen und
Studenten. Alle trugen Tweed. Sie erhoben sich.
    Â»Robert Parker, Vorsitzender.«
    Â»Jancis Robinson, Schatzwartin.«
    Â»Oz Clarke, Hüter des Käses.«
    Â»Hugh Johnson, Verflüssiger. Ich sorge dafür, dass immer genug Port
da ist.«
    Â»Joel Payne, Schriftführer und Hüter des Geheimwissens.«
    Â»Serena Sutcliffe, Unterhaltung und Orgien.« Sie errötete leicht. »Das
mit den Orgien macht die Society aber schon lange nicht mehr.«
    Â»Leider!«, meinte der junge Mann, der Bietigheim hierhergeführt
hatte. »Meinen Namen kennen Sie ja schon, ich bin zweiter Vorsitzender.«
    Bis auf Robert Parker nahmen alle Platz. Dieser wies einladend auf
den freien Platz am Kopf der Tafel und zog den Stuhl vor. Doch Bietigheim sah
sich erst einmal in Ruhe um.
    Â»Ich setze mich nicht zu jedem an den Tisch«,

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