Der letzte Aufguss
Tee, der vor ihnen stand.
Nur Benno begrüÃte Pit freundlich, sprang sogar an ihm hoch â was
allerdings auch an dem nur zur Hälfte gegessenen Thunfisch-Sandwich in seiner
Jackentasche liegen konnte.
»Im Radio war von einem Tumult bei der Pressekonferenz die Rede«,
bemerkte Bietigheim. »Sie sind also da gewesen.«
Pit hielt ihm wortlos das Display der Kamera entgegen, auf dem der
Abschiedsbrief zu sehen war.
»Das ist ja viel zu mühsam, so etwas Kleines zu lesen«, beschwerte
sich der Professor. »Geht das nicht auch gröÃer? Muss man Ihnen denn alles
sagen?«
Bietigheim, wie er leibte und lebte. Man musste ihn einfach ⦠oder
doch eher nicht. »Das ist das einzige Foto des Briefs auf der ganzen Welt, ich
hab dafür wahrscheinlich eine Straftat begangen. Und wenn ich es verkaufe,
erhalte ich ein kleines Vermögen.«
»Zu klein ist es trotzdem.«
Pit ging zum groÃen LCD-Fernseher und schloss sein Handy an. Es
dauerte nur wenige Sekunden, dann erschien der komplette Abschiedsbrief auf dem
Bildschirm. Die Schrift war zittrig, Tränen hatten einige Buchstaben
unkenntlich gemacht. Ohne ein Wort der Anerkennung las der Professor laut vor:
Ich schreibe diesen Brief, weil ich mich
entschlossen habe, meinem Leben ein Ende zu setzen. Es tut mir leid für alle,
denen ich durch diesen Schritt Schmerz verursache, meinen Eltern, meiner
Familie, meinen Freunden und meinen Kommilitonen. Doch die Schuld lastet zu
schwer auf mir. Ich habe zwei Menschen auf dem Gewissen und halte es nicht mehr
aus mit mir selbst. Ich bin keine friedliche Insel mehr.
Und muss
reinen Tisch machen.
Professor Shropsborough habe ich mit einem Schlag
auf den Kopf getötet und ihn danach in ein Punting-Boot gelegt. Der Grund für meine
Tat war ein Streit zwischen dem Professor und mir, bei dem ich zu diesem
Zeitpunkt als studentische Hilfskraft arbeitete. Shropsborough hat mich
beschuldigt, Geld aus der Institutskasse entwendet zu haben, was er melden
wollte. Das hätte das Ende meines Studiums, ja, meines ganzen Lebensentwurfs
bedeutet. Da habe ich ohne nachzudenken zugeschlagen. Er war sofort tot.
Professor Cleesewood hat mich bei der Tat gesehen
und mich einige Wochen später damit erpresst. Ich habe ihn mit Tetrodotoxin
vergiftet, dem Gift des Fugu-Fisches, welches ich aus der Sammlung des
Instituts entwendet hatte. Danach habe ich mich seiner Leiche auf dieselbe Art
entledigt wie der von Professor Shropsborough, damit es nach einem verrückten
Serientäter aussehen würde. Ich habe alles genauso gemacht wie bei der ersten
Leiche.
Professor Adalbert Bietigheim, seines Zeichens
Nachfolger der beiden Ermordeten, ist mir auf die Spur gekommen, und alles, was
ich verdrängt hatte, kam plötzlich wieder hoch. Ich müsste nun auch ihn
umbringen, doch ich kann keinen weiteren Menschen mehr ermorden. Ich muss der
Sache ein Ende bereiten.
Ich bin zu einem Monster geworden.
Es tut mir alles so schrecklich leid.
Michael Broadbent
Pit nickte anerkennend. »Selbst im Tod hat er sein Pseudonym
durchgehalten. Respekt.«
Der Professor stellte sich vor den Bildschirm und deutete auf einen
der Sätze: »Da! Sehen Sie es? âºIch habe alles genauso gemacht wie bei der
ersten Leiche.⹠Das ist eine Lüge. Der zweite Tee wurde mit anderem Wasser
hergestellt und dilettantisch aufgebrüht. Michael wusste, dass wir und die
ganze Port Wine Society davon Kenntnis haben. Warum lügt er über diesen eher
zweitrangigen Punkt? Mit Leichtigkeit hätte er schreiben können, dass er bei
der zweiten Leiche weniger Sorgfalt walten lieÃ.«
Pit lieà sich in den Ohrensessel fallen â aus dem er zuvor den
schlafenden Benno emporgehoben hatte. »Vielleicht wollte er jemanden decken?«
»Mit solch einer fadenscheinigen Lüge? Bei der er weiÃ, dass wir sie
sofort durchschauen? Und wen sollte er damit decken? Etwa Jancis? Nein, bei
aller Liebe, das kann ich nicht glauben, weil es einfach keinen Sinn ergibt.«
»Vielleicht fand er es einfach zu kompliziert zu schreiben, dass er
beim zweiten Mord anderes Wasser genommen hat.« Pit genoss, wie er langsam im
Polster versank. »Ist ja auch nicht wirklich wichtig.«
»Tee ist niemals unwichtig«, meldete sich Kokushi zu Wort. »Und wenn
ein Kulinaristikstudent ihn aufbrüht, dann denkt er sich etwas dabei. Es sind
diese Details, die den Unterschied ausmachen.« Er zog etwas aus
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