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Der letzte Aufguss

Der letzte Aufguss

Titel: Der letzte Aufguss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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einem unzugänglichen
Platz versteckt wäre, doch es lag im Wohnzimmer, in einem Regal, das nur eine
Armlänge vom Ohrensessel entfernt stand. Allzeit griffbereit.
    Er schlug es auf.
    Es enthielt keine Randbemerkungen, keine Zettel, keine
Unterstreichungen.
    Stattdessen: Nichts.
    Im wahrsten Sinne des Wortes.
    In der Mitte des Buches war ein großes, rechteckiges Nichts
ausgeschnitten worden – das genau Platz für den darin liegenden USB-Stick bot.
Dieser war wie folgt beschriftet: »Die sechste Schale«.
    Stolz hielt Bietigheim den USB-Stick in die Höhe, als sei es der
Weltmeisterpokal. »Wir sollten uns die Daten sofort anschauen! Pit, Sie wissen
doch, wie man den Rechner hier im Arbeitszimmer anwirft.«
    In der Tat wusste Pit das, und schnell war der Stick angeschlossen.
Er versuchte den USB-Ordner zu öffnen. »Kacke, der ist passwortgeschützt.«
    Â»Knacken Sie den Code«, forderte der Professor ihn auf.
    Â»Ich bin Taxifahrer, kein Hacker.«
    Bietigheim blickte ihn vorwurfsvoll an.
    Â»Nein, wirklich nicht«, sagte Pit und hob die Hände abwehrend. »Ich
bin gut bei Motoren, Fleisch grillen kann ich super, Rockabilly tanzen, und
auch bei der Orchideenzucht kann ich Ihnen helfen. Aber hierbei nicht.«
    Â»Wir brauchen Rena«, sagte Bietigheim. »Die kann so was. Also muss
sie kommen. Bitte umgehend, Pit. Hatte ich Sie nicht längst darum gebeten, sie
zu uns zu holen?«
    Â»Ich bin Taxifahrer, keine Sekretärin.«
    Plötzlich hörten sie ein Klingeln, nicht von der Haustür, sondern
von einem Fahrrad. Die Pressemeute ließ auf der Stelle vom Haus ab.
    Â»Was ist denn da los?«, fragte Pit. »Wer ist gerade vorbeigefahren?
Die Königin von England? Lady Chatterley auf einem Fahrrad? E.T.?«
    Â»Ich bin beeindruckt, dass Sie Lady Chatterley kennen.«
    Â»Mag sein, dass ich mich nicht mit Codeknacken auskenne, mit
nackigen Weibern aber schon. Jetzt sagen Sie schon! Was steckt hinter dem
Radfahrer? Sie könnenʼs aber auch spannend machen.«
    Bietigheim kostete den Augenblick des Triumphes und der Ruhe aus –
nachdem er den Ghettoblaster ausgeschaltet hatte. Der Professor liebte es, wenn
ein Plan funktionierte.
    Â»Ich habe eben einen Mann angerufen, der momentan überhaupt keine
Zeit hat – nämlich den örtlichen Rechtsmediziner. Der prüft gerade, ob
tatsächlich das Gift des Fugu-Kugelfischs den Tod von Jonathan Cleesewood
herbeigeführt hat. Sein Name: Dr. John H. Cumberland. Sein Hobby:
Amateurtheater. Als ich ihm von unserer Notsituation berichtet und ihn gebeten
habe, sich als meine Wenigkeit zu verkleiden und an meinem Haus vorbeizufahren,
war er sofort Feuer und Flamme. Dabei spielt er sonst fast nur Geisteskranke.«
    Pit hatte große Mühe, nicht gleich loszuprusten. Er trat sich
vorsichtshalber auf den Fuß.
    Wieder war das Klingeln zu hören, diesmal kam es aus Richtung des
Gartens. Egal, welche Medienvertreter dort noch verharrt hatten, nun wurden sie
vom Rattenfänger von Cambridge fortgelockt.
    Diesmal rief er auch etwas: »Hambuuuuuuurg forever!«
    Der Mann war gut. Richtig, richtig gut.
    Umgehend ließ sich der Professor von Pit zum St Johnʼs College
fahren. Master W. W. Stuart musste sofort eine Pressemitteilung herausgeben, um
den Wahnsinn im Vorgarten für alle Zeit zu unterbinden. Bietigheim genoss es,
dass während der Fahrt niemand an die Türen klopfte und keine dröhnende Musik
lief. Nur das Flattern von Bennos Zunge, die dieser aus dem offenen Fenster
hängen ließ, war zu hören. Himmlisch.
    Pit ließ die beiden direkt vor der Pförtnerloge in der St Johnʼs
Street aussteigen – wobei Benno offenbar lieber noch ein paar Runden gedreht
hätte. Vielleicht flog ihm irgendwann ja doch ein gebratenes Hühnchen ins Maul?
Man konnte nie wissen.
    Am liebsten wäre Bietigheim direkt ins Büro des Masters gestürmt,
doch die Höflichkeit gebot, sich von der Sekretärin anmelden zu lassen. Sie
klopfte an, verschwand kurz im Zimmer und teilte dem Professor dann mit, dass
er eintreten dürfe.
    Bietigheim reichte W. W. Stuart die Hand zum Gruße, die dieser mit
weichem Handgriff schüttelte. Noch bevor der Master etwas sagen konnte, legte
der Professor bereits los.
    Â»Sie werden schon von den Geschehnissen um Steven Spurrier, alias
Michael Broadbent, und von meiner Involvierung gehört haben. Ich habe

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