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Der letzte Aufguss

Der letzte Aufguss

Titel: Der letzte Aufguss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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Rezept. Meist wurden zuerst die Gewürze mit Wasser aufgekocht, um die
Aromen zu lösen, bevor Tee und Milch dazukamen.
    Gerade hatte Bietigheim die Tasse angesetzt und einen Schluck
genossen, als das Telefon ihn aus seinen Träumen von Indien riss. Er setzte sie
langsam ab und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen, bevor er das
Gespräch annahm. Jemand hatte die direkte Durchwahlnummer genutzt.
    Â»Institut für Kulinaristik der University of Cambridge, Professor
Dr. Dr. Bietigheim am Apparat.«
    Â»Hier ist Cumberland, die Obduktion ist durch. Kommen Sie zu mir,
dann haben Sie das Ergebnis als Erster. Aber nehmen Sie den Hintereingang. Muss
ja keiner wissen, dass Sie mich besuchen.«
    Â»Bin bereits auf dem Weg!« Doch das stimmte nicht. Den Chai Masala
genoss Bietigheim noch in aller Ruhe zu Ende – denn alles andere wäre ein
Affront gegenüber Asha Ghalib gewesen. Und mit seiner Sekretärin sollte man
sich niemals anlegen. Besonders nicht, wenn sie solch fabelhaften Tee
zubereiten konnte.
    Er hatte gerade seinen Mantel übergezogen und Benno mithilfe eines
kurzen Pfeifkonzerts aus Bachs Wohltemperiertem Klavier geweckt, als es an der
Tür klopfte.
    Â»Herein!«
    Mit leicht gesenktem Kopf trat Colin ein. »Herr Professor …«
    Â»Leider mangelt es mir im Augenblick an Zeit. Könnten wir das
Gespräch vielleicht verschieben?«
    Â»Es wird nicht lang dauern. Und es ist wichtig.«
    Bietigheim wies auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. »Setzen Sie
sich bitte – aber machen Sie es sich nicht zu gemütlich.«
    Colin nahm Platz. »Ich habe von den Vorwürfen Professor Tölers
gehört. So etwas macht in Cambridge schnell die Runde. Und bevor ich wusste,
wie mir geschah, stand der Master des St Johnʼs College bei mir im Laden und
löcherte mich wegen meiner Qualifikation und woher wir zwei uns kennen. Dabei
hat er als College-Master mit der Universität ja nur indirekt zu tun. Doch
Stuart ist ein geübter Strippenzieher, der es hervorragend versteht, Unheil von
seinem Haus abzuwenden.«
    Â»Ich sehe an Ihrer Einberufung ins Institut nichts Verwerfliches.«
    Â»Vielleicht wäre das in Hamburg so, aber in Cambridge steht das
Personal unter besonderer, nein, extremer Beobachtung. Und ich bin nur ein
altes, verbeultes Exemplar. Ich hatte damit gerechnet, dass Nachfragen kommen
würden – aber nicht so … unangenehm vorgetragene. Ich habe deshalb eine Vita
erstellt, wie ich sie bei einer offiziellen Bewerbung hätte vorlegen müssen.
Sie hat allerdings Löcher, tiefer als der Marianengraben.« Er legte sie auf den
Tisch.
    Â»Diese Krise stehen wir gemeinsam durch!« Bietigheim erhob sich
wieder, denn die Leichenhalle wartete.
    Â»Noch etwas«, sagte Colin. »Folgende Information könnte vielleicht
gegen Sie verwendet werden, wobei ich nicht wüsste, wie. Ich habe Professor
Shropsborough gekannt. Mehr sogar, wir waren Freunde, haben ein
wissenschaftliches Team gebildet, gemeinsam Forschungsreisen unternommen – und
sind im Streit auseinandergegangen. Er blieb hier, ich ging nach Adelaide in
Südaustralien.«
    Â»Das ist nicht ehrenrührig.«
    Â»Wenn der Master Sie absägen will, wird er alles nutzen und hinter
den Kulissen agieren, bloß keinen Skandal verursachen. Es wird still und
heimlich geschehen und nach einer klugen Maßnahme statt einer übereilten
Korrektur aussehen. Sie werden es erst merken, wenn es zu spät ist. Ich halte
die Ohren offen, meine alten Verbindungen sind noch nicht vollends eingerostet.
Aber wenn Stuart Sie wirklich loswerden will, gibt es kaum eine Möglichkeit,
etwas dagegen zu unternehmen. Es tut mir sehr leid, dass Sie meinetwegen
Probleme haben.«
    Sorgen ließen sich zwar nicht wegradeln, trotzdem versuchte
Bietigheim es. Außer Atem kommen, nur an das Treten und die sich drehenden
Räder denken. Seine Mitschuld an Michaels Tod, die drohende Entmachtung und
Tölers Triumph mussten aus dem Kopf. Er würde sich nicht kleinkriegen lassen!
    Denn der Gesichtsverlust wäre nicht auf Cambridge beschränkt. Er
würde auch nicht schnell vergessen werden. Elefanten mochten ein gutes
Gedächtnis haben, doch es war ein Witz gegen das von Universitätsprofessoren.
    Bietigheim trat schneller.
    Vor dem Eingang des rechtsmedizinischen Instituts lungerten bereits
einige Journalisten herum, unterhielten sich, rauchten

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