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Der letzte Aufguss

Der letzte Aufguss

Titel: Der letzte Aufguss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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oder machten ein
Nickerchen. Der leichte Nieselregen war nicht mehr als eine freundliche
Erinnerung, dass es in England jederzeit wie aus Kübeln gießen konnte. Die
Schlafenden schien er jedenfalls nicht zu stören.
    Damit ihn auch ja niemand erkannte, fuhr Bietigheim in gehörigem
Abstand um das Gebäude herum und auf den Mitarbeiterparkplatz, dessen
heruntergelassene Schranke für sein Gefährt kein Problem darstellte. Er kettete
es an eine Laterne und schritt völlig unbehelligt durch den ungesicherten
Hintereingang.
    Der Weg zu Dr. Cumberland war hervorragend ausgeschildert. Ansonsten
hätte ihn auch der singende Elvis Presley zu seinem Ziel geführt. Als
Bietigheim eintrat, ließ Dr. Cumberland – diesmal in einem roten Hawaiihemd mit
großen Schwertfischen – gerade die Hüfte kreisen und streckte den rechten
Zeigefinger in die Luft, als wäre der King of Rock ʼnʼ Roll persönlich in ihn
gefahren.
    Â»So guter Laune, Herr Kollege?«, fragte der Professor.
    Â»Aber immer, vor allem, wenn ein Job erledigt ist. Für das
Ablenkungsmanöver vor Ihrem Haus habe ich übrigens noch was gut. Hab die ganze
Zeit meinen Bauch einziehen müssen, damit ich Ihnen halbwegs ähnlich sehe.
Jetzt muss ich ihn wieder in Form tanzen. Schön rund und beweglich.«
    Bietigheim ging auf den Obduktionstisch in der Mitte des Raumes zu,
auf dem Cleesewood lag, der am Morgen aus seinem Grab geholt worden war. »Er
sieht schlecht aus.«
    Â»Na ja, er ist tot. Und nicht erst seit heute. Das ist schlecht für
den Teint. Frische Leichen sind deutlich attraktiver.«
    Â»Sind nach solch einer Zeit denn überhaupt noch Rückstände von
Giften im Körper zu finden?« Bietigheim nahm sich einen Holzspachtel und
versuchte, den Mund der Leiche damit zu öffnen.
    Â»Kommt ganz auf das Gift an. Einige zersetzen sich recht schnell.
Bei anderen hat man Glück.«
    Bietigheim kam beim Mund nicht weiter und beschloss deshalb, das Ohr
genauer unter die Lupe zu nehmen. Er wusste zwar nicht, was er suchte, aber
wann hatte man schon mal Gelegenheit, in einer Leiche herumzustochern?
    Â»Was ist denn nun mit dem Fugu-Gift? Wurde er damit umgebracht oder
nicht?«
    Â»Lassen Sie mich für die Antwort ein bisschen ausholen, okay? Das
Gift des Kugelfischs ist nichts, wonach man routinemäßig sucht. In meiner
Laufbahn ist es mir noch nie begegnet, da muss man sich also erst reinlesen,
Kollegen aus Japan kontaktieren. Alles gar nicht so einfach.« Er zwinkerte. »Aber
macht irre Spaß.«
    Â»Und?«
    Cumberland stellte Elvis ein wenig leiser. »Tetrodotoxin ist ein
marines Neurotoxin, ein Nervengift. Für einen erwachsenen Menschen genügen bei
oraler Aufnahme schon ein halbes bis anderthalb Milligramm, um den Tod
herbeizuführen. Der schnellste dokumentierte Todesfall durch Tetrodotoxin trat
nach siebzehn Minuten ein. Es ist bis zu hundertmal tödlicher als das Gift der
Schwarzen Witwe und sogar mehr als tausendmal tödlicher als Zyankali. Zudem ist
es ein gut anwendbares Gift, denn Tetrodotoxin ist wasserlöslich und
hitzestabil, geht also beim Kochen nicht kaputt.« In Cumberlands Augen lag
ehrliche Anerkennung. »Witzigerweise ist der Kugelfisch geschmacklich nicht der
Bringer, der Gaumenkitzel besteht aus einem leicht brennenden und prickelnden
Gefühl im Mund und auf der Zunge, das schließlich in ein leichtes
Taubheitsgefühl übergeht. Es ist ein Spiel mit dem Feuer, denn das sind bereits
die ersten Anzeichen einer leichten Vergiftung.«
    Bietigheim sah sich das Gesicht Cleesewoods an, dessen Augen
geschlossen waren und dessen Wangen der Tod hatte einfallen lassen. »Ist es
eine … unangenehme Todesart?«
    Cumberland klopfte dem Professor auf den Rücken. »Davon können Sie
ausgehen! Taubes Gefühl im Mund, Prickeln im Gesicht, Koordinationsstörungen,
Muskelkrämpfe, Lähmungen der Skelettmuskulatur, Schwitzen, Erbrechen,
Durchfall, Cyanose – der Kreislauf spielt verrückt, das Herz auch, und
irgendwann wird die Atemmuskulatur gelähmt. Wodurch dann häufig der Tod
eintritt. Dabei erlebt das Opfer seinen Tod zwar in paralysiertem Zustand, aber
bei vollem Bewusstsein.«
    Die Leiche war erstaunlich gut erhalten. Bietigheim konnte nicht
anders, als dem Toten beruhigend über das Haar zu streichen. Auch wenn jedes
Mitgefühl zu spät kam. Dann schaute er wieder zu Cumberland,

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