Der letzte Aufguss
der aussah, als
wollte er weitere Details zum Thema Tetrodotoxin referieren. Und so gut Bietigheim
dies auch verstehen konnte, es gab Wichtigeres.
»Sie machen es sehr spannend, dabei wissen Sie, dass mich eigentlich
nur die Antwort auf eine einzige Frage interessiert: Ist Jonathan Cleesewood
tatsächlich an Fugu-Gift gestorben? Denn dann war es der Mörder meiner
Vorgänger, der auch Michael Broadbent auf dem Gewissen hat.«
Cumberland drehte sich tänzerisch um, ging hüftschwingend zu einem
Glaskolben und präsentierte ihn Bietigheim. »Der Inhalt ist grün.«
»Und das bedeutet?«
»Dass der Test auf Tetrodotoxin eindeutig ausgefallen ist.«
»Eindeutig was?«
»Eindeutig positiv.«
Cambridge zog am radelnden Adalbert Bietigheim vorbei wie eine
Kulisse. Im Geiste war der Professor ganz woanders. Eigentlich hielt er sich
für einen guten Menschenkenner, doch immer wieder musste er feststellen, dass
man einen Menschen nie völlig kannte, ja, nicht einmal sich selbst. In seinem
Kopf hatte zu Beginn der Ermittlungen ein Bild des Mörders existiert, eines
Mannes mit Stil, der seine Opfer in Tee bestattete â wenn auch nicht immer
perfekt zubereitet. Doch je mehr er über die Todesfälle herausfand, desto
fremder und unheimlicher wurde ihm der Täter, desto mehr bekam er Angst vor
diesem Wesen, das sich so weit verabschiedet hatte vom Menschsein.
Die Sorge, selbst zum Mordopfer zu werden, hatte Bietigheim bisher
erfolgreich verdrängt, doch Michael Broadbents erzwungener Abschiedsbrief
brachte ihn mehr als jemals zuvor in den Fokus des Täters. Dieser würde sich
fragen, wie viel Bietigheim wirklich wusste. Und ob es Spuren gab, die ihn zum
wahren Täter führen würden.
Als der Professor am Institut für Kulinaristik ankam, schloss er
sein Fahrrad an einer Mülltonne fest und kontrollierte das Schloss dreimal.
Dann nahm er so schnell die Treppenstufen in den ersten Stock, als
wäre jemand hinter ihm her. Bevor er seinen Mantel ordentlich aufhängen konnte,
kam Asha Ghalib auf ihn zu, ihr Gesicht vor Zorn so rot wie ihr Sari. Sie
übergab ihm eine Telefonnotiz. Als er den Namen der Anruferin las, wusste
Bietigheim, warum die Laune der Sekretärin unterhalb der Rasenkante angekommen
war. Hildegard zu Trömmsen konnte zu anderen Frauen sehr herablassend sein.
Ungefähr so wie eine Kaiserin zu einer Küchenschabe.
Die Telefonnotiz lautete: »Frau zu Trömmsen hat einen Saunatermin
für Sie im Finnland Club ausgemacht. Er passt genau vor Ihre heutigen Seminare.
Sie werden erwartet. Keine Widerrede. Sie sagt, Sie müssen zur Erholung
dorthin. Beim Saunieren ist zudem über das Festmahl nachzudenken.«
In jedem Buchstaben, den Asha geschrieben hatte, war die Abscheu
erkennbar, ihn zu Papier bringen zu müssen.
»Sie ist eigentlich eine sehr höfliche Dame«, versuchte Bietigheim
die Wogen zu glätten.
Ashas Blick änderte sich kein biÃchen, nur ihre Mundwinkel zuckten.
»Sie nennt einen wunderbaren Witz ihr Eigen, und die Teestunden bei
ihr sind ein Erlebnis.«
Ashas Mundwinkel zuckten immer mehr. Es sah aus, als würde sie
gleich bellen. Oder zubeiÃen.
»Allerdings kein Vergleich zu Ihrem wunderbaren Masala Chai!«
Das Zucken wurde weniger.
»Ich gehe dann mal saunieren. Falls Frau zu Trömmsen künftig anrufen
sollte, wenn ich nicht da bin, dann tun Sie einfach so, als hätte sie sich
verwählt.«
Dafür bekam er einen Schmatzer auf die Wange â ihre Haare dufteten
köstlich nach Zimt.
Warum konnte Dankbarkeit nicht immer so herrlich nach Zimt riechen?
Natürlich hatte er keine Zeit für die Sauna. Und noch weniger Lust.
Aber man tat, was Hildegard zu Trömmsen von einem erwartete. Man verspielte es
sich nur einmal mit ihr, eine zweite Gelegenheit erhielt man nämlich nicht
mehr.
Der Finnland Club war in der obersten Etage des neumodischen Cripps
Building untergebracht, der architektonischen Erbsünde des St Johnʼs College.
Es wunderte Bietigheim überhaupt nicht, dass der Saunawärter ihn mit Namen
ansprach, ihm Bademantel sowie Handtuch reichte und keinerlei Bezahlung
notwendig war. Hildegard zu Trömmsen überlieà nichts dem Zufall.
Bietigheim wusste nicht viel über Saunen â das galt es
selbstverständlich zu kaschieren. Als Universitätsprofessor musste man stets
den Eindruck erwecken, alles zu wissen.
»Welche
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