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Der letzte Aufguss

Der letzte Aufguss

Titel: Der letzte Aufguss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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mit Diana ungestört sein zu können, ein schwimmendes Liebesnest.
    Das hatte sich ja leider erledigt.
    Nun musste es eben für ihn und den Professor reichen. Platz war nur
wenig, doch zum Schlafen würde es reichen.
    Das neue Zuhause lag am Ufer des Cam, gegenüber dem Trinity Hall
Boat Club, und war angemalt wie die Flagge des Vereinigten Königreichs. Es war
das Hausboot mit dem passenden Namen »God Save The Queen«. Eines der
sogenannten Narrowboats, die jeden noch so kleinen Kanal passieren konnten. Die
meisten dienten Studenten als Unterkunft. Mit Propangasflaschen versorgte man
die provisorisch eingerichteten Küchen. Die Fenster waren klein, die Decken
niedrig, die Betten eng, aber es hatte etwas von Abenteurerleben.
    Auf dem kleinen Deck des Kahns standen zwei weiße Plastikstühle. Auf
einen davon verfrachtete Pit nun den immer noch schweigenden Professor. Benno
nahm die Gelegenheit wahr, über die große Rasenfläche des Midsummer Common zu
hetzen und einigen Karnickeln gehörigen Schrecken einzujagen. Auf dem nebenan festgemachten
Boot wurde gerade gegrillt. Pit tauschte ein paar Rippchen gegen Bier – an der
Leine gekühlt im Cam.
    Das gegrillte Fleisch holte Bietigheim wieder zurück ins Hier und
Jetzt. Das und ein gewaltiger, fauchender Schwan mit nur einem Auge, der in der
Nähe wasserte.
    Â»Wir müssen einen Schwan grillen. Doch wir dürfen keinen Schwan
fangen. Ich werde auch Hildegard zu Trömmsen enttäuschen. Ich werde alle
enttäuschen …«
    Pit knabberte sein erstes Rippchen ab und warf den Rest ins Wasser.
Sofort kamen einige Enten angeflogen, um zu sehen, ob etwas Essbares in ihrem
feuchten Wohnzimmer gelandet war. »Richtig, hab ich ganz vergessen zu sagen:
Sie haben die Erlaubnis, einen Schwan für das Essen zu fangen. Hille hat dafür
gesorgt.«
    Â»Hille?« Nun blickte Bietigheim ihn tatsächlich an.
    Â»Hildegard, ist echt \neine Nette. Wir haben uns gleich super
verstanden. Ich glaub, die hat was für Sie übrig. Da müssen Sie dranbleiben,
Professore. Ich sagʼs Ihnen! Da ist was drin für Sie.«
    Der einäugige Schwan näherte sich lautlos und verscheuchte dann mit
lautem Fauchen die neugierigen Enten. Pit ließ ein weiteres abgenagtes Rippchen
neben dem Rumpf ins Wasser fallen, und als der Schwan seinen Kopf in den Cam
steckte, um es zu fressen, griff er zu, hob ihn an Bord und warf ihn in die
Koje.
    Â»Und da haben wir auch schon ein echtes Prachtstück. Ich nenne ihn
Charles. Nach dem Kronprinzen. Passt prima zu meinem Boot.«
    Der Schwan fauchte wütend. Es fehlte nicht mehr viel, und er hätte
Feuer gespuckt. Der Vogel versuchte, die wenigen Stufen emporzuklettern – doch
Pit grölte ihm einige Zeilen von Conspirator entgegen. Da wollte er lieber
nicht mehr hochkommen.
    Â»Gleich besorg ich einen Käfig für ihn. Dann müssen wir ihm nicht
sofort den Hals umdrehen, sondern können ihn länger frisch halten. Gib schon
Ruhe, Charles! Ich besorg dir gleich was zu futtern. Sollst doch schön fett
werden.«
    Der Professor war aufgestanden. »Wer kann mir denn die Erlaubnis
geben, einen Schwan zu fangen und zuzubereiten? Wer, wenn nicht der Master des
St Johnʼs?«
    Â»Oh, ganz einfach«, antwortete Pit. »Da gibt es noch eine andere
Person.«
    Â»Und wer bitte soll das sein?«
    Â»Die Königin von England.«

KAPITEL
9

    Orchard Tea
    Es wurde eine unruhige Nacht an Bord der »God Save The Queen«, die
wie eine fette Schlange am Ufer des Cam lag. Ihre Bewohner fühlten sich am
nächsten Morgen wie gerade verdaut. Zum Teil lag es an den beengten Kojen,
deretwegen Pit um 3.17 Uhr beschloss, auf den Boden umzuziehen. Zum weitaus
größeren Teil lag es jedoch an Benno und Charles. Dem Schwan gefiel es
überhaupt nicht, auf dem Klo eingesperrt zu sein, was er mit ständigem Fauchen
zu verstehen gab. Außerdem fraß er – wie sich nach Öffnen der Tür herausstellte – das gesamte Klopapier auf. Benno hielt es offenbar für seine Aufgabe, die
Klotür zu bewachen, und bedachte jedes Fauchen von Charles mit entschlossenem
Gebell.
    So verging Stunde um Stunde. Irgendwann schaffte es der Professor
trotzdem, ein wenig zu schlafen. Als er in den frühen Morgenstunden aufwachte,
fiel ihm mit Schrecken etwas ein, das er sofort der Welt – in diesem Fall Pit,
Benno und nun ja, vielleicht auch Charles –

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