Der letzte Aufguss
Terrasse erstreckende Garten sah auf den ersten
Blick aus wie eine natürliche Landschaft â doch war alles exakt geplant. Jedoch
so, dass es natürlich wirkte, wie ein begehbares Landschaftsgemälde. Die
Sonnenstrahlen schwammen wie Fische über die Szenerie, gebrochen von den
rauschenden Blätterdächern der hohen Bäume. Halb verdeckt von einer groÃen
Eiche war ein eierschalenfarbener Gartenpavillon zu erspähen, der an einen
griechischen Tempel erinnerte.
Und darin bewegte sich etwas.
Bietigheim wählte einen Weg, der ihn und Pit geschützt vor Blicken
zum Pavillon führte, denn er wollte überraschend auftauchen, des dramatischen
Effekts wegen. Ganz sachte trat der Professor von hinten an die beiden Personen
heran. Es war unschwer zu erkennen, um wen es sich handelte: W. W. Stuart und
die Countess von Shropsborough. Sie saÃen sehr nah beieinander. Bietigheim
konnte sehen, dass der Master Schwarztee trank, dem Geruch nach eine
hundsgewöhnliche Mischung, und nur die Countess im wahrsten Sinne des Wortes
hemmungslos aphrodisiert wurde.
»Master Stuart, was für eine Freude, Sie anzutreffen! Die Tür stand
offen, deswegen war ich so frei. Und Countess von Shropsborough!« Bietigheim
trat zu ihr, verbeugte sich und küsste ihren Handrücken. »Es ist immer ein
besonderes Vergnügen, Sie zu sehen. Auch wenn ich Sie bei diesem fabelhaften
Wetter eher hoch zu Ross erwartet hätte als so sehr auf dem Boden der
Tatsachen.«
Stuart erhob sich. »I am not amused. Wenn Sie etwas mit mir zu
besprechen haben, empfange ich Sie gerne in meinem Büro.«
»Es ist dringend, weswegen ich den beschwerlichen Weg nach
Grantchester, noch dazu am Sonntag, auf mich genommen habe.«
Die Countess stöhnte kurz auf. Die Wirkung der versammelten
Aphrodisiaka schlug offenbar voll zu. Ihre Pupillen weiteten sich und sie
benetzte sich die Lippen. Auch dem Master blieb dies nicht verborgen.
»Ich werde selten ausfallend, aber jetzt haben Sie mich so weit
gebracht: Verlassen Sie sofort mein Haus, Sie unverschämter Mann! Haben Sie
denn gar keine Manieren? Muss ich die Polizei rufen?« Er zog sein Handy aus der
Sakkoinnentasche und wählte eine Nummer.
»Sie fragen mich, ob ich Manieren habe?«,
erwiderte Bietigheim. » Sie ? Ich zumindest habe es in
meinem Leben niemals nötig gehabt, mit gezinkten Karten zu spielen. Ich war
immer Manns genug, mit dem, was mir der Herr gegeben hat, um Damen zu werben.«
Bietigheim setzte sein charmantestes Lächeln auf und trat neben die sich nun
mit ihren Händen lasziv durch die Haare fahrende Countess. »Wissen Sie
eigentlich, was Sie da trinken und warum?«
Stuart steckte das Handy weg. Er hatte kein Wort in den Hörer
gesprochen.
Die Countess blickte Bietigheim lange an. »Sie haben was, wissen Sie
das eigentlich? Ich kann nicht sagen, was es ist. Animalisch? Nein. Brutal?
Auch nicht. Nein, es ist dieses Korrekte, dieses Steife, das ⦠mich erregt.
Setzen Sie sich doch zu uns. Neben mir ist noch Platz.«
Bietigheim blickte lächelnd den Master an.
»Lassen Sie uns reingehen und reden«, meinte dieser plötzlich. »Elisabeth,
entschuldige uns bitte, aber es scheint dringend zu sein, und ich will meine
Pflicht tun. Ich bin gleich wieder zurück. Trink noch etwas Tee, bevor er kalt
wird. Ich setze gleich neuen auf.«
Die Countess nickte und schlug die Beine übereinander. Auf die linke
Seite, dann auf die rechte, und die ganze Zeit rutschte sie mit ihrem Po auf
der Gartenbank vor und zurück.
Strammen Schrittes ging der Master vor ihm in die Küche. Als
Bietigheim ihm gefolgt war, schloss er die Verandatür hinter ihnen. Hoffentlich
stellten Pit und Benno in der Zwischenzeit keinen Blödsinn an.
»Was wollen Sie von mir? Wollen Sie mich erpressen? Sie haben mich
in der Hand.«
»Es freut mich, das zu hören, vor allem von dem Mann, der mich
gerade vor die Tür gesetzt hat.«
»Ich kann das nicht auf einfache Art rückgängig machen. Ihr Ruf ist
geschädigt.«
»Dann machen Sie es eben auf komplizierte Art rückgängig! Sie
könnten stattdessen Tölers Ruf schädigen â obwohl ich vermute, dass er das mit
der Zeit auch ganz alleine hinbekommt. Er ist in dieser Hinsicht sehr begabt.«
Immer wieder glitt Stuarts Blick hinaus in Richtung Pavillon. Sein
Atem wurde so schwer, dass er sich gegen die Küchenzeile lehnen
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