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Der letzte Aufguss

Der letzte Aufguss

Titel: Der letzte Aufguss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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deutsche. Gekauft hatte er
schließlich einen Strauß mit Gerbera (weil das die blumigste aller Blumen war),
Orchideen (weil das die zartesten aller Blumen waren) und Hibiskusblüten (weil
diese als die romantischsten aller Blumen galten – sie ließen sich zum Beispiel
bestens im Haar tragen) sowie einen Topf mit einer Hortensie (weil das die
prallste und zugleich filigranste aller Blumen war).
    Pit wollte einfach auf Nummer sicher gehen. Irgendeine der bunten
Blüten würde Diana schon gefallen und sie in ihrer traurigen Lage vielleicht
ein klein wenig trösten.
    Pit hatte in Auntieʼs Tea House angerufen und erfahren, dass Diana
sich im Anwesen ihres verstorbenen Vaters befand. Leise parkte er sein Taxi vor
dem Haus. Die Außentür war nur angelehnt. Er klopfte kurz und trat ein, ohne
eine Antwort abzuwarten. Diana saß auf einer Stufe im Treppenhaus und blickte
verloren vor sich hin. Sie sah noch blasser aus als sonst. Pit legte die Blumen
auf der Treppe vor ihr ab.
    Â»Sogar eine Hortensie?«
    Â»Ich war mir nicht sicher, welche Blumen dir gefallen.«
    Â»Alle.«
    Â»Dann ist gut.«
    Â»Du bist viel mitfühlender, als ich gedacht hatte. Du bist mehr als
Muskeln und Speck.«
    Â»Ja, Knochen habe ich auch noch. Du lächelst, das ist prima.« Gäbe
es eine Anstellung, bei der man Diana für den Rest des Lebens zum Lächeln
bringen durfte, Pit hätte sie ohne Zögern angenommen.
    Sie hob die Blumen auf, ging mit ihnen in die Küche und suchte eine
Vase. Als sie keine fand, begann sie zu weinen.
    Pit wollte sie schon umarmen, denn dafür waren große Arme wie die
seinen besonders gut geeignet. Doch bevor er dazu kam, drehte Diana sich um,
wischte sich die Tränen aus den Augen, ließ dann schnell Wasser ins Waschbecken
laufen und stellte die Blumen hinein.
    Â»Ich werde sicher bald eine Vase finden. Aber noch kenne ich das
Haus nicht. Kommst du mit? Wir könnten uns in den Billardraum setzen, da war
ich noch nicht. Mein Vater hat nie Billard gespielt. Zumindest nicht, dass ich
wüsste. Es ist, als würde ich ihn jetzt erst kennenlernen. Er hat dieses Haus
allein eingerichtet. Es ist eine Art Spiegel seiner selbst. Ich setze mich
einfach in die Zimmer und schaue mich um. Nicht dass ich mir vorstelle, wie
mein Vater darin gelebt hat, nein, ich lasse einfach alles auf mich wirken.«
    Im Billardzimmer stand ein riesiger, mit royalblauem Filz bespannter
Spieltisch, die Queues hingen an der Wand, in einer Anrichte waren verschiedene
Whiskysorten aufgereiht – doch keine der Flaschen war angebrochen. Auch der
Tisch sah aus, als wäre er niemals angerührt worden. Die Kugeln lagen im
Billarddreieck.
    Diana setzte sich im Schneidersitz auf den Spieltisch.
    Pit holte sich einen Stuhl aus der Küche.
    Als er zurückkam, hatte sie ihre Schuhe ausgezogen und stand auf dem
Tisch. »Der Befund des Rechtsmediziners ist eingetroffen. Die Polizei hat mir
das Ergebnis mitgeteilt. Kevin, mein Vater, ist an einer Überdosis Kokain
gestorben – doch das ist nicht der einzige Grund, warum sie von Selbstmord
ausgehen.« Sie strich sich eine Strähne aus der Stirn und noch eine und eine
dritte, die es gar nicht gab.
    Â»Ist gut, du musst es nicht sagen.«
    Â»Will ich aber. Obwohl es bedeutet, dass seine letzten Monate eine
Lüge waren und er Schmerzen hatte.« Wieder strich sie eine imaginäre Strähne
weg. Sie war so nervös, dass sie dutzende gebraucht hätte. »Mein Vater hatte
Lungenkrebs. Die Krankheit war fortgeschritten, doch eine Chemo hätte ihn
vielleicht heilen können. Ich glaube, dass er den grünen Tee angewendet hat, um
den Krebs zu besiegen – aber die Polizei …«
    Pit stand auf. »Lass uns etwas essen. Ein großes Stück gutes
Fleisch. Saftig, blutig. Was Besseres gibt es nicht. Das gibt Kraft. Ich lad
dich ein. Und wenn du willst, spendiere ich dir vorher noch einen Hot Dog –
wenn es hier so was gibt. Oder was Indisches, da habt ihr ja unzählige
Restaurants.«
    Raubkatzen brauchen nur Sekundenbruchteile, um von schnurriger
Gemütlichkeit zu lebensgefährlicher Wildheit zu wechseln. Diana schaffte es
schneller.
    Â»Ich öffne dir mein Herz und du willst Fleisch mit mir essen?«
    Â»Ja, Schwein, Rind, Kalb …«
    Â»Kalb? Du meinst Rinder im Kindesalter?«
    Â»Ã„h, nein, ich meine Kalb. Oder Lamm.«
    Â»Lamm?«
    Â»Sag mal, isst du etwa kein

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