Der letzte Aufguss
bewohnte ein uraltes Haus in der Stulp Field Road. Mit seinen Zinnen,
Erkern und Balkonen, seinen Türmen und Kaminen schien es einem mythischen Reich
zu entstammen, in dem König Artus noch die Tafelrunde um sich versammelte.
Mit anderen Worten: es sah unglaublich teuer aus.
Grantchester war eine heile Welt und die Tür deshalb unverschlossen.
Bietigheim war so wütend, dass er nicht eine Sekunde auf den Gedanken
verschwendete, was passieren könnte, wenn er im Haus erwischt würde, welchen
Skandal dies entfachen könnte. Sähe es nach Einbruch aus, würde es alles noch
weitaus schlimmer machen.
Doch er ging einfach hinein, gefolgt und dann fix überholt von Benno
und Pit. Das Haus schwitzte Englishness aus allen Poren. Es gab ausschlieÃlich
Möbel, die aussahen, als seien sie schon im Mittelalter Erbstücke gewesen. Es
verwunderte Bietigheim, elektrisches Licht statt Gaslampen zu sehen.
Menschen waren nicht zu sehen.
Auf einmal hörte der Professor Geräusche eines Kampfes.
Von Benno und einem unbekannten Gegner.
Bietigheim rannte in die entsprechende Richtung.
Der Foxterrier teilte eine groÃe Leidenschaft mit Pit: Er liebte
Fleisch. Pit bekam es zwar meist auf einem Teller serviert, aber das Gefühl war
gleichermaÃen innig. Benno liebte Fleisch so sehr, dass er alles, was auch nur
annähernd wie Fleisch aussah, ins Maul nahm, um es einer oralen Prüfung zu
unterziehen. Ausspucken konnte er es immer noch. Durch das rasche
Zwischen-die-Zähne-Befördern verhinderte er zumindest, dass ihm jemand anders â
zum Beispiel Pit â bei dem potenziellen Fleischstück zuvorkam.
Die Geräusche kamen aus der Küche. Als der Professor dort eintraf,
sah er mit einem Blick, was los war: Benno befand sich auf der Küchenzeile und
biss wild in etwas, das sich nicht wehren konnte.
Einen gepressten Fladen Pu-Erh-Tee.
Durch Knurren machte Benno ihm klar, wer der böse, gefährliche
Foxterrier im Haus war. Der Professor hätte niemals auf den Fladen geachtet,
wenn Benno nicht so entschlossen zugebissen hätte. Und er schien immer noch
unsicher, ob dieses merkwürdig schmeckende Ding nicht doch irgendeine exotische
Art von Lebewesen war â als Bietigheim es ihm fortnahm.
Der sofort wusste, dass es kein gewöhnlicher Pu-Erh-Tee war. Er war
mit einem Aufkleber des Instituts für Kulinaristik versehen, die Archivnummer
wies ihn als den fehlenden Pu-Erh-Fladen aus. Im Gegensatz zu dem von Rena
gefundenen stammte er jedoch nicht von Kevin Shields , sondern direkt von einem
Händler in China. Ein von Cleesewood beschrifteter Zettel war daran befestigt: »Lokalen
Legenden zufolge das stärkste Aphrodisiakum der TCM«. TCM stand für
Traditionelle Chinesische Medizin. Und die Chinesen hatten sich eingehend mit
Aphrodisiaka beschäftigt. Es war eines ihrer Lieblingsthemen. Sie
pulverisierten und trockneten alles, nur um herauszufinden, ob es die Säfte
ordentlich in Wallung brachte.
Auf der Küchentheke standen vier kleine unbeschriftete Dosen. Der
Professor öffnete sie und schnupperte am Inhalt: Safranfäden, frische Vanille,
Yohimbinhydrochlorid und Mucuna pruriens, die Juckbohne, von der es im Ayurveda
heiÃt, dass sie stimulierend wirkt.
Hier vertraute jemand ganz und gar nicht seiner natürlichen
Anziehungskraft, hier ging jemand auf Nummer sicher. Und wenn der Tee
tatsächlich als Aphrodisiakum funktionierte, dann war er wertvoll. Wertvoller
als Gold.
Einige Menschen würden dafür sogar töten.
Der Professor steckte ihn ein und berührte den Wasserkocher. Er
strahlte noch Restwärme ab, der Tee war gerade erst zubereitet worden. Doch im
Haus waren keine Stimmen zu hören. Er schickte Pit die Treppe hoch, um die
oberen Etagen zu durchsuchen. Vielleicht nahm der Master das Gebräu mit seiner
Angebeteten direkt im Schlafzimmer ein. Weil es im wahrsten Sinne des Wortes
naheliegend war. Nach kurzer Zeit kam Pit jedoch kopfschüttelnd die ausladende
Wendeltreppe herunter.
»Keiner da, auch nicht in den Türmchen.«
Sie mussten doch irgendwo sein! Der Professor wollte Pit schon in
die Garage schicken, als ihm die angelehnte Verandatür auffiel.
»Benno, bei FuÃ!« Bietigheim erwartete, dass der dickköpfige
Foxterrier sich nun durch die Tür drücken würde, doch er war nirgends zu sehen.
Gut, solange er im Haus Unheil anstellte, sollte ihm das egal sein.
Der sich hinter der
Weitere Kostenlose Bücher