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Der letzte Aufguss

Der letzte Aufguss

Titel: Der letzte Aufguss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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mitteilen musste.
    Sie hatten Rena völlig vergessen!
    Und den Computer, mit dem sie versuchte, Cleesewoods Passwort zu
knacken.
    Andere hätten vielleicht einfach »Rena!« gerufen, doch nicht
Professor Dr. Dr. Adalbert Bietigheim. Wenn es eine Chance gab, viele Wörter zu
benutzen, konnte er diese nicht verstreichen lassen. Er richtete sich in seiner
Koje auf und schlug dabei mit dem Kopf gegen die Decke, bevor er ausrief: »Wir
haben Rena keine Information bezüglich unserer neuen Heimstatt zukommen lassen!«
    Pit antwortete nicht. Benno auch nicht. Charles fauchte.
    Doch jemand anders meldete sich zu Wort. »Ist schon in Ordnung, ich
hab noch ein schönes Plätzchen im Heck gefunden!«
    Â» Rena? «
    Â»Die und keine andere. Ich geh jetzt gleich frische Crumpets holen.
Irgendwelche Sonderwünsche?«
    Â»Bring einen Eimer Kaffee mit«, brummte Pit. »Und ein großes,
scharfes Messer, um Charles den Hals durchzuschneiden.«
    Â»Wenn die Bäckerei kein extrascharfes Baguette hat, werde ich wohl
leider ohne Schnittwerkzeug zurückkehren müssen.« Sie lachte, zog die Decke
über den Kopf und sich selbst darunter um.
    Â»Wie …?«, fragte der Professor fassungslos.
    Â»Ich bin abends noch mal kurz zum alten Haus gefahren«, erklärte
Pit, »hab meinen Alfons vor der Tür abgestellt und einen Zettel aufs
Armaturenbrett gelegt. Auf dem stand, wo sie uns findet und dass noch ein Bett
für sie frei ist.«
    Â»Und der …?«
    Auch diesmal kam Bietigheim nicht weiter, denn Rena antwortete unter
der Decke: »Der Computer ist bei mir! Ich bin doch schon vor Ihnen im Institut
aufgebrochen. Als Töler mit den Universitätsschergen eintraf, habe ich mein
Notebook und meine übrigen Sachen eingepackt und mich vom Acker gemacht, bevor
irgendeiner Fragen stellen konnte. Das Code-Programm ist die ganze Nacht durch
gelaufen, der Akku von meinem Rechner war noch voll.«
    Â»Und ich schmeiß gleich den Generator an«, sagte Pit, nun schon
etwas wacher klingend. »Also alles in bester Ordnung.«
    Charles fauchte. Aus seiner Sicht war anscheinend nicht alles in
bester Ordnung.
    Der Professor wollte aufstehen. Und stieß sich abermals den Kopf. An
derselben Stelle. Das machte ihn noch rasender. »Das ist eine nicht hinnehmbare
Situation! Dass ich wie ein Paria aus dem Amt gejagt werde, in einem modrigen
Schiff schlafen muss und der vermaledeite Mörder immer noch frei herumläuft.«
Er hob wütend den Zeigefinger. Und stieß ihn sich an der niedrigen Decke.
Fuchsteufelswild stapfte er in Richtung Schiffstür, um auf das Deck zu gelangen,
wo keine Decke mehr existierte, an der man sich stoßen konnte. Dabei stolperte
er über Benno, riss eine an die Kajütenwand gepinnte Kopie von Michaels
Abschiedsbrief herunter, sowie das vergilbte Plakat eines Rockkonzerts auf
irgendeiner irischen Insel, und stieß mit dem Kopf auf die hölzernen
Bodendielen.
    Es gibt Menschen, die durch langes Nachdenken oder durch
Spaziergänge auf Ideen kommen, manche gar durch den Kuss einer Muse. Bei
Bietigheim verhielt es sich in diesem Moment ganz anders: Eine ungeheure,
zutiefst empfundene Wut mobilisierte in ihm Kräfte, durch die sich seine
Gedanken wie tektonische Platten verschoben und die Indizien und Beweise in
seinem Kopf genau an die richtigen Stellen bewegten.
    Und plötzlich, endlich, ergaben sie einen Sinn.
    Bietigheims Wut verwandelte sich in unbändige Freude. Ihm war klar
geworden, wer für die Morde verantwortlich war.
    Â»Pit, bringen Sie mich sofort zum Haus des Masters! Heute ist doch
Sonntag, nicht wahr?«
    Â»Wenn die in England nicht plötzlich die Sechstagewoche eingeführt
haben, ist Sonntag.«
    Â»Gut, dann los! Frühstück ist gestrichen. Wir haben keine Zeit zu
verlieren. Rena, Sie knacken den Code und füttern Charles. Und fragen Sie bitte
beim Midsummer House nach, ob man dort einen Bräter besitzt, der groß genug für
unseren Schwan ist.«
    Es klang, als würde Charles mit dem Kopf gegen die Toilettentür
schlagen. Benno bellte ein letztes Mal drohend zum Abschied, bevor er seinem
Herrchen ans Ufer folgte.
    Das Dorf Grantchester lag unweit von Cambridge in nordwestlicher
Richtung und wies die höchste Konzentration an Nobelpreisträgern weltweit auf –
bei nur knapp fünfhundert Einwohnern. W. W. Stuart, Master des St Johnʼs
College,

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