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Der letzte Aufguss

Der letzte Aufguss

Titel: Der letzte Aufguss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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Nähe. Nur der Schwan war da.
    Nun ja, besser als nichts.
    Doch diesmal hielt er ausreichend Abstand. Charlesʼ Kopf reckte sich
ihm entgegen wie eine giftige Schlange. Und das Zischen, das er von sich gab,
klang auch eher reptilienartig.
    Â»Mein lieber, nein, besser: mein böser Charles. Was ich dir nun
sage, wird dir fremd sein. Ihr Höckerschwäne bindet euch schließlich fürs
Leben, was bei Menschen nicht immer der Fall ist. Dame Julia Wenbosca könnte
solch ein Mensch sein. Könnte, wohlgemerkt! Denn was verrät uns dieses
Passwort? Es verrät uns etwas über mögliche Mordmotive. Hat der Earl von einer
möglichen Affäre zwischen Cleesewood und Julia Wenbosca Wind bekommen und sie
oder ihn oder beide erpresst? Und wurde dann von ihr oder ihm oder beiden
zusammen ermordet? Oder hat Julia Wenbosca herausgefunden, dass sie nur deshalb
Ehebruch mit Cleesewood begangen hat, weil dieser Aphrodisiaka in Form von
Pu-Erh-Tee bei ihr eingesetzt hatte? Wäre das nicht Grund genug für einen Mord?
Aber was frage ich dich garstiges Vieh nach einem Mordmotiv? Du würdest
vermutlich schon für ein Stück altes, schimmeliges Toastbrot töten! Klar ist
nach diesem Fund vor allem eines: ich muss Dame Wenbosca noch einmal befragen
und ihr diesmal wirklich auf den Zahn fühlen, um nicht zu sagen: den Nerv
ziehen. Hör mal, Charles, kannst du nicht einmal, und sei es auch nur für
wenige Sekunden, dieses enervierende Fauchen unterbrechen? Erlahmt deine Zunge
davon nicht irgendwann einmal?«
    Nein, das tat sie nicht. Aber Bietigheim war fürs Erste fertig.
Jetzt drehte er sich wieder zum Notebook und machte sich daran, die Daten zu
untersuchen. Nachdem er das Passwort eingegeben hatte, passierte erst einmal
nichts Spektakuläres, kein Feuerwerk begrüßte ihn, keine Siegesfanfare ertönte.
Er konnte nur das Inhaltsverzeichnis des USB-Sticks sehen. Eine große
Word-Datei, eine Excel-Liste sowie eine Powerpoint-Präsentation. Dem Datum nach
hatte Cleesewood am Tag seines Todes an allen dreien gearbeitet. Die Dateien
trugen alle den gleichen Namen: Forschungsergebnisse_Die_sechste_Schale.
    Â»Die sechste Schale ruft mich ins Reich des Unvergänglichen«, hieß
es in dem Gedicht. War der Pu-Erh-Tee gemeint, der durch seine aphrodisierende
Wirkung den Menschen eine Empfindung schenkte, die sich zumindest zeitweilig
unvergänglich anfühlte, die Liebe nämlich? Oder nahm Cleesewood etwa Bezug auf
die Kokainlieferungen im Grüntee, die den Tod, und damit das einzige wirklich
Unvergängliche, herbeiführen konnten?
    Der Professor öffnete die Textdatei, las die Einleitung und sprang
dann zur Zusammenfassung am Ende. Dann erst überflog er den Teil dazwischen,
schaute sich die Daten in der Tabellenkalkulation an und anschließend die
Präsentation.
    Der Inhalt war etwas ganz anderes, als der Professor erwartet hatte.
Und er war eine Sensation. Der Name passte: Die Forschungsarbeit hatte mit Zeit
zu tun, mit dem Unvergänglichen, dem Pu-Erh-Tee.
    Jonathan Cleesewood hatte eine Methode gefunden, mit der man das
Alter eines Pu-Erh-Tees auf das Jahr genau bestimmen konnte. Jede Fälschung war
dadurch mittels einer einfachen, kostengünstigen Prüfung in wenigen Minuten
feststellbar. Man brauchte dafür nur einen Teststreifen, auf dem eine
Jahresskala angebracht war. Genial. Alle Fälschungen des teuren Tees, und es
gab etliche davon, konnten damit auf einen Schlag als solche enttarnt werden.
Und ihre Fälscher und Verkäufer ebenso, die damit Unsummen verdienten.
    Der Professor musste sich setzen. Die tektonischen Platten in seinem
Kopf verschoben sich wieder mit aller Macht.
    Und in diesem Moment nahm er selbst Charlesʼ beständiges Fauchen
nicht mehr wahr.
    Einige Minuten zuvor hatte Pit eine Zigarette angezündet, sich aufs
Bootsdeck gesetzt und den Professor beobachtet. Das war besser als Fernsehen.
Jetzt gab er unentwegt merkwürdige Worte von sich wie »Sirupus simplex«, »Tangentialbündel«
oder »Erinnophilie«, ohne es zu merken. Nach einiger Zeit griff Bietigheim sich
einen Zettel und schrieb wie wild drauflos.
    Dann rief er Pit zu sich.
    Â»Alle, die hier draufstehen, einladen zum Pub-Quiz im Pickerel Inn
am Achtzehnten um achtzehn Uhr, das kann sich hoffentlich jeder merken.« Er
drückte Pit die Liste in die Hand.
    Dieser sah sich die Namen an. »Wieso sollte auch nur ein Einziger
von diesen

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