Der letzte Aufguss
Pit.
Diana lachte wieder. »Nicht mehr. Ich habe es mit dem Geld meines
Vaters gekauft, genau wie eine Teehandlung in London und eine kleinere in
Edinburgh. Jedes wird in ein Auntieʼs Tea House verwandelt â mit
angeschlossenem Shop. Davon habe ich schon immer geträumt.« Sie lehnte sich
verschwörerisch zu Pit. »Heute bin ich inkognito hier. Will mal sehen, wie
alles läuft und was man ändern kann. Die waren mir ehrlich gesagt seit Jahren
ein Dorn im Auge. Jetzt gehtʼs mir besser.« Sie strahlte und nahm einen Schluck
Tee. »Hm, da werde ich wohl den Zulieferer wechseln müssen.«
»Dem Professor würde es hier sicher gefallen.«
Diana schüttelte entschieden den Kopf. »Ich habe mir letzte Woche
eine seiner Vorlesungen über Tee angehört â meine Verbindungen zur University
sind immer noch sehr gut, sonst ginge das natürlich nicht.« Sie holte ihr Handy
hervor, tippte auf einige Icons, und plötzlich ertönte Adalbert Bietigheims
Stimme.
»Im Orchard Tea Garden, dieser bereits 1897
gegründeten Institution mit seinem hölzernen Teepavillon, von
dem der Dichter Rupert Brooke so treffend sagte:
âºMore famous people have taken their tea here than anywhere else in the
worldâ¹, gibt es heutzutage, wie mir zugetragen wurde, leider nur eine
lächerliche Auswahl an Tees. Darunter sogar Früchtetees. Früchtetees! Welch ein
Hohn! Doch die meisten trinken das, was auf der Karte einfach nur als Tee
bezeichnet wird. Keine Herkunft ist angegeben, keine Mischung. Bloà Tee! Auf
den Hund gekommen ist sie hier, die englische Teekultur. Den
Allerweltsteegenuss hat man behalten, selbst in billigen Hotels finden sich
Wasserkocher und Teebeutel auf dem Zimmer. Doch was ist mit dem Zelebrieren des
High Tea, was mit den unzähligen Teesorten? In London, ja, da gibt es all dies,
aber schon hier, in der gebildeten Universitätsstadt Cambridge: Fehlanzeige.
Wie anders ist es in Hamburg! Eine Oase der Teekultur! Sogar ein Teemuseum gibt
es an der Alster und herausragende Teegeschäfte â auch wenn es die Bremer
waren, die ein deutschlandweit operierendes Kontor geschaffen haben, das muss
man ihnen leider zugutehalten. Ich werde Cambridge seine Teekultur zurückgeben
und High Teas in den Gärten der Colleges organisieren!«
Sie schmunzelte, nahm einen Schluck heiÃen Tee
und legte ihr Handy beiseite. »Er versteht nicht, dass Tee bei uns ein
Alltagsgetränk ist, wie in Frankreich Wein und in Deutschland vielleicht Milch.
Wir machen uns keine Gedanken darüber, wir trinken ihn ständig und haben SpaÃ
daran. Für ihn ist es ein Expertenthema, doch der Tee gehört allen.«
Sie saÃen noch eine ganze Weile im Orchard Tea
Garden und genossen es, einfach zusammen zu sein. Manchmal redeten sie,
manchmal nicht. Und Pit dachte kein einziges Mal an gegrilltes Nackensteak.
Das musste Liebe sein.
Für den Rückweg wählte Diana eine andere Strecke.
Dabei mussten sie durch eine kleine grün gestrichene Pforte. Links und rechts
wucherten Bäume und Sträucher, ineinander verschlungen.
»Man nennt es das âºKissing Gateâ¹Â«,
informierte Diana ganz beiläufig.
Pit zögerte nicht. Sie zu küssen, ging ihm schon
so lange durch den Kopf. Um genau zu sein, seit er sie das erste Mal gesehen
hatte. Vermutlich sah man ihm das damals nicht an, weil er grimmig guckte, wie
er es eigentlich immer tat, ohne es zu merken. Es war der Normalzustand seines
Gesichts, selbst wenn ihm das Herz gerade überging. Diese 1,71 Meter
groÃe, vegetarische Handballerin mit den, wie ihm jetzt auffiel, hübschesten
Ohren der Welt, von denen eines eine unglaublich süÃe Kante hatte, würde er
jetzt küssen, weil sich das einfach gehörte.
Und weil er genau das wollte.
Von der ersten Sekunde an, in der sich ihre Lippen berührten und ein
wohliger Schauer sich in jeder Pore seines gewaltigen Körpers ausbreitete,
wusste er, dass dieser Kuss richtig war. Unglaublich richtig. Sie hätten in der
Nähe einer illegalen Müllkippe stehen, ein Wagen hätte sie vom Weg hupen
können, und selbst wenn er ihr mit seiner groÃen Nase fast eines ihrer schönen
Augen ausgestoÃen hätte, dieser Kuss hätte sich immer unglaublich richtig
angefühlt. Als wäre die Welt aus dem Gleichgewicht geraten, wenn er nicht
passiert wäre. Und Pit musste zu seinem Erstaunen feststellen, dass
Vegetarierinnen
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