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Der letzte Aufguss

Der letzte Aufguss

Titel: Der letzte Aufguss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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richtig
zubereitete, sondern nur, um sie stolz zu machen.
    Neben ihm tauchte der Maître dʼHôtel auf und hielt ihm das
Zifferblatt seiner Armbanduhr vor die Augen. Der erste Gang stand an.
Bietigheim hatte zur Unterstützung zwei Lehrlinge zugewiesen bekommen, die
alles anrichteten, wie er es ihnen am Nachmittag auf einem Probeteller ge„zeigt
hatte. Doch er musste die Ergebnisse überprüfen, sollte dieser Tag nicht in
einem Debakel enden.
    Der Professor betrat die Küche. Sofort lösten sich die Blicke der
anwesenden Köche von Pfannen, Töpfen und Schneidebrettern, um sich ihm
zuzuwenden.
    Dem Feind, der sie herausgefordert hatte.
    Er war an diesem Tag schon mehrmals in der Küche gewesen, um seine Zutaten
einzulagern, das Mis en place vorzubereiten, die Arbeitsgeräte kennenzulernen.
Dabei war ihm Sternekoch Daniel Clifford stets aus dem Weg gegangen, sie hatten
sich nie Aug in Aug gegenübergestanden. Jetzt begrüßte ihn der Hausherr höflich
mit Handschlag, doch das Unwohlsein, die Küche mit einem Fremden teilen zu
müssen, war ihm anzumerken. Bietigheim war ein kleiner Arbeitsbereich in der
Küchenecke zugeteilt worden, in dem es jedoch an nichts fehlte. Man wollte sich
später wohl nicht nachsagen lassen, man habe es an Unterstützung mangeln
lassen.
    Doch auf Rosen betten wollte man den Konkurrenten nicht.
    Den Professor focht das nicht an. Aus dem Universitätsleben war er
Konkurrenzsituationen, Missgunst und Nickeligkeiten gewohnt. Er fühlte sich wie
ein Fisch im Wasser.
    Mit wissenschaftlicher Präzision bereitete er die Gänge zu,
akribisch wog er die Zutaten ab, sekundengenau hielt er Garzeiten ein, dabei
immer flexibel genug, diese der Qualität und dem Gewicht der Lebensmittel
anzupassen. Bietigheim hatte sich gegen allzu komplexe Zubereitungen
entschieden, gegen die schiere Mannschaftsstärke des Restaurants kam er in
diesem Bereich sowieso nicht an.
    Es musste einfach und genial sein. Dabei galt: Je einfacher ein
Gericht war, je weniger Zutaten es gab, desto besser mussten diese sein.
Deswegen begeisterte die italienische Küche im Vergleich zur aufwendigeren
französischen auch nur, wenn herausragende Lebensmittel Verwendung fanden. Der
Professor hatte nur absolute Spitzenprodukte herbeigeschafft, zum Teil extra
aus dem legendären Pariser Großmarkt Rungis – der größer als ganz Monaco war.
    Wann immer Bietigheim einen Augenblick Zeit hatte, blickte er in den
Gastraum, um zu sehen, ob die Göttliche mittlerweile eingetroffen war. Doch
jedes Mal musste er enttäuscht wieder in die Küche zurückkehren.
    Die Vorspeisen wurden aufgetragen. Es war nicht zu übersehen, dass
die Gäste der Schwanessenz mit Steinpilzen und Flusskrebsschwänzen nicht viel
abgewannen, ja sogar fremdelten. Cliffords geräucherte Makrele mit Kaviar und
Gurke schlug die Essenz um Längen.
    Vielleicht war es gut, dass Hildegard zu Trömmsen nicht anwesend
war. Und auch nicht ihre gute Freundin, die Königin von England.
    Bietigheims Zwischengang erfreute die Gäste mehr, allerdings hatte
er bei diesem auch nicht den ganzen Schwan, sondern nur dessen Schmalz in
Kombination mit der Heiligen Dreieinigkeit der Heringe eingesetzt: Bismarck,
Matjes und Grüner – als Hommage an seine Heimatstadt Hamburg.
    Diese Runde würde er als unentschieden werten, damit stand es zwei
zu eins für Clifford.
    Jetzt kam es auf den Hauptgang an.
    Der Professor hatte sich entschieden, diesen auf einer riesengroßen,
mit weißen Federn bedeckten Silberplatte zu servieren, darüber eine
Glasscheibe, auf der das perfekt gegarte Fleisch in Form eines Schwans
ausgelegt war. Kurz hatte Bietigheim überlegt, Wunderkerzen rundherum brennen
zu lassen – aber das wäre doch zu sehr »Traumschiff«. Es war auch so schon eine
Heidenarbeit gewesen und vielleicht ein wenig kitschig, aber Hildegard zu
Trömmsen hätte es geliebt. Vielleicht käme sie ja noch rechtzeitig? Er blickte
in Richtung Eingang. Doch sie war nirgends zu sehen.
    Er holte tief und enttäuscht Luft, straffte die Brust und trat in
den lichtdurchfluteten Gastraum. Sobald er die Aufmerksamkeit der Gäste hatte,
kündigte er seinen Hauptgang an: »Meine sehr geschätzten Damen und Herren, ich
darf Ihnen nun eine Neuschöpfung offerieren, etwas, das vor Ihnen noch niemand
gegessen hat, eine Kreation zu Ehren der Grande Dame der

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