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Der letzte Code - ein Roman über die Geschichte der Zivilisation

Der letzte Code - ein Roman über die Geschichte der Zivilisation

Titel: Der letzte Code - ein Roman über die Geschichte der Zivilisation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schneider
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Tamas wurde neugierig und fuhr mit zahlreichen Passagieren über den Fluss. Auf der anderen Seite ging der Strom der Menschen durch den Stadtteil Bankside hin zum Globe-Theater der Schauspieltruppe Lord Chamberlain’s Men .
    Vor dem Eingang des Theaters gab ein Bänkelsängerpaar mit Laute und Schalmei am Bier-und-Wein-Ausschank eine Vorstellung:
    „Der Geist, der Fall ist klar, will Rache.
    Und das, mein Sohn, ist deine Sache!
    Fatal ist für den Prinzen die Lage,
    Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage.“
    Gäste hoben die Krüge und Gläser und wiederholten lauthals die letzten Verse.
    Der Sänger:
    „Und am Ende bleiben alle im Stück auf der Strecke, oh ja.
    Die Menschen begießen mit vielen heißen Tränen
    das Schicksal von Hamlet, des Prinzen der Dänen!
    Und der Rest ist Schweigen, oh ja!“
    Das Globe-Theater
    Tamas ging zum seitlichen, ebenerdigen Eingang, wo das größte Gedränge herrschte.
    „Stehplätze einen Penny!“, tönte es laut über die Warteschlange hin.
    „Zwei Pennys für einen Sitzplatz unter dem Dach, Leute! Wenn ihr noch eine Münze lockermacht, gibt es ein Kissen dazu.“ Die beiden Kartenverkäufer im Eingang waren vom Ansturm der Besucher total überfordert. Tamas nutzte das und stahl sich unbemerkt an ihnen vorbei.
    Tausendfaches Stimmengewirr empfing ihn. Sein Blick fiel zuerst auf die weit in den Zuschauerraum hineinragende Bühne. Sie war vollständig bemalt, kein Zentimeter Putz war ohne Bilder oder Ornamente, die Bühnenbretter leuchteten rot lackiert. Wände und Decken der Galerien waren mit Sonne, Mond und Sternen bemalt. Dazu allerlei Märchengestalten, Hexen, Zauberer, bunte Vögel, Drachen, tanzende Liebespaare.
    Im Innenraum drängten sich bereits an die 2 000 Leute dicht an dicht. Oben auf den Rängen der Galerien saßen weitere 1 000. An der Kleidung, am Reden, am Fluchen erkannte man im überfüllten Hof, dass die Leute aus allen Gesellschaftsschichten kamen. Soldaten in Uniform waren zu sehen, Seeleute, Näherinnen, Lehrlinge, Wächter, Diener. Oben beugten sich die feiner gekleideten über die Brüstung, die Juristen und reichen Kaufleute. Fremde Sprachen mischten sich mit dem Slang der Einheimischen.
    Jedes der drei Stockwerke war mit Eichenbänken ausgestattet, von denen aus man über die Balustrade in den Hof und auf die Bühne blickte. Apfel-, Birnen- und Nüsseverkäuferinnen gingen mit ihren Körben durch die Reihen, Bier und Tee wurden ausgeschenkt. Die Zuschauer rauchten stark qualmenden Tabak aus langstieligen Pfeifen. Der Tabaksgeruch mischte sich mit dem von Knoblauch, Zwiebeln und mit Bierdunst.
    „Macht eure Mäuler zu, ihr stinkenden Vogelscheuchen!“, riefen die Leute von den Galerien herunter. Trommeln kündigten den Beginn des Spiels an.
    Der Geist will Rache
    Ein Mann brach aus den Kulissen hervor, lief quer über die Bühne auf die untere Balustrade zu. Gewandt wie ein Affe zog er sich an den Balken hoch, rannte wie von Furien gehetzt auf dem schmalen Steg einmal um das Rund des Theaters, balancierte dann auf dem Geländer, sprang über Durchgänge, zog sich an Vorsprüngen weiter bis auf die Zinnen, die man im Hintergrund der Bühne aufgebaut hatte.
    Als hätte er einen Geist gesehen!
    „Aah!“ Ein Aufstöhnen aus 1 000 Zuschauerkehlen. Er hatte einen Geist gesehen! Alle hatten ihn gesehen, und selbst wer ihn nicht gesehen hat, war sicher, dass da eben ein Geist gewesen war!
    Alle sahen die Zinnen des Schlosses Helsingör an der nebligen dänischen Küste. Sie hörten das Sausen des Windes, das Brechen der Wellen an den Felsen.
    Was war das?
    Sie vergaßen, ihre Nüsse zu knacken, Flaschen wurden nicht zum Munde geführt, angebissene Äpfel fielen aus der Hand.
    Ein Lichtfleck irrte über die Mauern und Zinnen des Schlosses – hierin – dorthin – verharrte, als wartete er auf den Prinzen von Dänemark. Aus dem Licht wurde eine Gestalt, immer deutlicher zeichnete sich der Geist des ermordeten Dänenkönigs ab.
    Die Zuschauer stöhnten auf. Der Bänkelsänger hatte vor dem Theater gesungen, was jetzt zu hören war:
    „Ich bin deines Vaters Geist,
    verdammt auf eine Zeit lang, nachts zu wandern
    und tags gebannt zu fasten in der Glut
    … Wenn du je deinen teuren Vater liebtest –
    … räche seinen schnöden, unerhörten Mord!
    ... Räche mich!
    Ade, ade, ade! Gedenke mein!“
    Still war es geworden im Theater. Unbewegte, gespannte Mienen, in den Augen zunehmendes Entsetzen.
    // SUPERSTAR DES THEATERS

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