Der letzte Drache
einen Ritter zeigte, der mit einer Lanze ins Herz eines Drachen sticht, aus dem eimerweise knallrotes Blut spritzt. Glücklicherweise hatte Baldur sich heute Abend auch für dunkle Kleidung entschieden. Anders konnte man wirklich nicht zu einem Metal-Konzert gehen. Oder wie immer die Insider diese Musikrichtung gerade nannten. Er war einmal in eine Arte-Dokumentation über diese Szene geraten und hatte gelernt, dass Hardrock Schnee von gestern war und es neben Heavy Metal auch noch Thrash, Death, Power, Speed und sogar Symphonic Metal gab und wahrscheinlich noch viele Adjektive und viele Metallarten mehr.
Links und rechts von Baldur standen zwei besonders massige Fans, beide mit langen schwarzen Haaren. Baldur hoffte, dass die Fahrt bald vorbei sein würde, doch an jeder Haltestelle stiegen noch Dragon Slayer-Fans zu und man rückte näher und näher zusammen. Die Scheiben waren nun beschlagen, die Temperatur hoch und die Luft stickig.
Endlich war das Ziel erreicht, die Türen öffneten sich und der Bus spie seine Fracht aus. Gierig atmete Baldur die frische Sommerluft ein. Neben der Enge war der Geruch nach Bier und Schweiß das Schlimmste gewesen. Jetzt ging es ihm wieder besser. Er folgte einfach dem Strom der Menschen, die es zur Freak Factory zog. In dem Gewühl hätte er Jason und Ella unmöglich finden können, er hoffte, dass es an der Garderobe einfacher werden würde.
Baldur erreichte die Halle und wollte sie gerade betreten, als er neben sich ein Knäuel schwarzer Gestalten ausmachte. Aus deren Mitte klangen raue Worte und immer wieder blitzte etwas Gelbes auf. Baldur kam ein Verdacht. Er drängelte sich in das Knäuel und als er sich der Mitte näherte erwies sich sein Magengrummeln als berechtigt. Dort stand sie, Ella, wieder einmal topmodisch - aber doch furchtbar unpassend - gekleidet. Sie trug einen blassgelben Rock mit passendem Top, elegant geschnitten. Eine Kombination, mit der sie auf jeder Cocktailparty positiv aufgefallen wäre. Nun, aufgefallen war sie auch hier, nur dass sie sich von den Dragon-Slayer-Fans einiges anhören durfte:
“Zum Sonnenblumenfeld immer da links runter..”
“Sa ma, haste überhaup schon ma n Dragon Slayer Lied gehöat?”
“ Ey Alte, Florian Silbereisen kommt erst nächste Woche.”
Und so weiter und so fort. Lustig ging anders. Er schnappte nach Ellas Hand, die ihn überrascht und erleichtert anblickte, als er aus der Menge kam, und zog sie hinter sich her, aus dem Knäuel heraus, etwas ins Abseits.
“Du kennst doch Dragon Slayer. Da sag ich nur, Augen auf bei der Kleiderwahl.”
“Schon, aber nur aus dem Radio. Ich hab mir über deren Verkleidung überhaupt keine Gedanken gemacht. Ich mag es einfach nicht, unordentlich aus dem Haus zu gehen. Ich hätte aber auch überhaupt keine schwarzen Sachen gehabt.” Ella dreht ihren Kopf hin und her und ließ ihre Augen Kreisen, um zu sehen wann der nächste Spaßvogel käme.
“Lass uns mal noch etwas hier in den Schatten gehen. Ich komm gleich wieder.”
Es dauert keine fünf Minuten, bis Baldur wieder zur Stelle war.
“Hier, kleines Geschenk als Belohnung für Zivilcourage.” Er reichte ihr eine Plastiktüte.
“War das einzige, was sie noch hatten. Alles andere war schon ausverkauft.”
“Oh, es ist wunderschön”, sagte Ella in einem übertrieben amerikanischen Tonfall, den Baldur aus den Dauerwerbesendungen kannte, als sie das schwarze, ärmellose Dragon-Slayer-Shirt aus der Tüte zog. Der Schriftzug lief geschnörkelt über die Rückseite, die Vorderseite wurde komplett vom blutenden Drachen eingenommen.
“Es hilft nichts, bitte zieh das an, sonst können wir das Konzert vergessen.”
Aus der Halle klangen die ersten Synthi Klänge von “Durch den Nieselregen”, den größten Hit von Kawasaki Hotel. Die schwarzen Gestalten drängten sich nun endgültig hinein. Auch wenn es Baldur nicht einleuchten wollte, wie die beiden Musikrichtungen zusammenpassen sollten.
Ella zog sich ihr Top aus. Da stand sie nun, nur mit einem weißen Spitzen BH bekleidet. Schnell zog sie das schwarze Shirt über, doch die zwei Sekunden reichten aus, Baldur nachhaltig zu beeindrucken. Ella verstaute ihr gelbes Top in der schwarzen Tüte. Das Shirt war so lang, dass es sogar große Teile des zitronenfarbenen Rocks verdeckte. So konnten sie sich nun endlich zum Eingang begeben.
Die Vorgruppe hatte die Bühne verlassen, die Besucher verteilten sich nun locker auf die Halle und die beiden strebten der Seite der Halle zu,
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