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Der letzte Engel (German Edition)

Der letzte Engel (German Edition)

Titel: Der letzte Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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wieder gut.
    Mona betrat die Küche.
    Die Mädchen drehten die Köpfe und sahen sie an.
    Mona wich unmerklich zurück.
    Die Augen ihrer Schwestern waren wie ein Nachthimmel ohne Mond und ohne Sterne. Was ist mit ihren Augen passiert?, dachtesie, als Jasmin auch schon neben sich auf den Boden klopfte.
    Und lächelte.
    Und erneut klopfte.
    Hör dir an, was sie zu sagen haben, meldete sich der Instinkt, und Mona gehorchte und trat vor. Sie konnte bei jedem Schritt die Hitze des Bodens unter ihren bloßen Fußsohlen spüren, als wäre sie an einem Sonnentag am Strand.
    Mona hockte sich neben Jasmin.
    Jetzt waren sie komplett.
    Die Mädchen sahen sie an.
    »Es tut mir leid«, sagte Mona.
    Die Mädchen lächelten.
    Es wärmte Mona mehr als der Ascheboden und mehr als ein ganzer Sommer. Es war ein Lächeln, das verzieh. Mona war hier richtig.
    Sie erwachte vom Lärm der Möwen. Sie lag zusammengerollt auf dem Boden und hatte beide Hände unter eine Wange gelegt. Es sollte ihr letzter Schlaf für die nächsten Tage sein. Bevor sie die Augen öffnete, wusste sie, dass alles anders war.
    Kein Bett, kein Haus, keine Schwestern.
    Mona fühlte sich schwer und allein und öffnete die Augen.
    Der Mond ließ alles in einem kargen Schwarzweiß erscheinen. Sechs Stunden waren vergangen und der Boden war erkaltet. Die ersten Möwen umkreisten das niedergebrannte Haus und meckerten, weil sie nichts Essbares fanden. Mona stand auf und rieb sich das Gesicht. Ihr Schlafanzug war von der Asche verdreckt. Sie wischte darüber und hinterließ graue Streifen auf dem Baumwollstoff. Irgendwann hatten die Mädchen einstimmig beschlossen, dass sie keine Nachthemden mehr tragen wollten. Omas trugen Nachthemden und Menschen, die im Mittelalter lebten. Die Gouvernanten bestellten ihnen Schlafanzüge. Es gab drei Farben. Mona trug eine rote Hose und ein grünes Oberteil. Sie hörte auf, die Asche von der Hose zu wischen, und schaute hoch. Sie hatte nicht gewusst, dass Möwen auch nachts unterwegs sind. Mona klatschte in die Hände, die Möwen erschraken und verschwanden in der Dunkelheit. Ein wenig war es, als hätte Mona ihre eigene Trauer weggeklatscht. Sie fühlte sich leichter.
    Die Mädchen erwarteten sie auf der Ostseite des Hauses. Sie saßen auf den Überresten der Mauer zum Hinterhof und wippten mit den Beinen.
    »Wieso sitzt ihr da oben?«, fragte Mona.
    Die Mädchen hörten auf zu wippen und schauten zwischen ihren Füßen nach unten. Mona folgte ihren Blicken. Die Leichen waren kaum zu erkennen, sie lagen nebeneinander auf dem Boden und waren mit Schutt und Dreck bedeckt. Mona zählte fünfzehn Körper. Sie schaute wieder zu den toten Mädchen hoch. Die Mädchen sprachen mit ihr. Die Mädchen hatten nur einen Wunsch. Sie sagten:
    Befrei uns.
    Und sie sagten:
    Lazar.
    Und sie baten:
    Bring uns zu ihm.
    Und sie versprachen:
    Wir führen dich und du bringst uns zu ihm, ja?
    Bitte, wiederholten sie. Bitte. Versprich es, ja?
    Und Mona versprach es.
    »Mona?!«
    Ennis stand in dem abgebrannten Seiteneingang wie ein Besucher, der darauf wartet, eingelassen zu werden. Sie hatte eine Platzwunde auf ihrer Stirn und schwankte, als würde sie das Gleichgewicht nicht halten können.
    »Was ist passiert?«, fragte sie und machte einen Schritt auf Mona zu, bevor sie auf die Knie fiel und sich erbrach.
    Als Kevin O’Niven zwei Stunden später aus dem Küchenfenster schaute, duckte er sich hastig, weil er glaubte, Geister würden den Hof heimsuchen. Die Frau und das Mädchen liefen Hand in Hand und trugen nur ihre Schlafanzüge. So blutig die Frau war, so blass war das Mädchen. Als sein Bruder ihn fragte, was er da tun würde, richtete sich Kevin wieder auf und ging in den Flur zum Waffenschrank. Er lud zwei der Jagdgewehre und reichte eines seinem Bruder. Dann rief er nach der Großmutter und zusammen verließen sie das Haus und nahmen das Mädchen und die Gouvernante in Empfang. Während sich die Großmutter um die beiden kümmerte, traten Stellas Söhne den fünf Kilometer langen Fußmarsch zum Haus der Kormorane an. Sie hatten nicht gefragt, was geschehen war. Der Anblick der Gouvernante reichte völlig. Die Brüder fühlten ihr Versagen bei jedem Schritt. Nach dem Tod des Vaters hatten sie seine Aufgaben übernommen und waren sorglos geworden. Aber wer würde nicht sorglos werden, wenn er über hundert Jahre ein Haus bewacht hatte und nie geschieht was? Die Brüder hofften, sie könnten noch etwas retten, auch wenn das hohle Gefühl in ihrer Brust

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