Der letzte Karpatenwolf
arbeiten, der Saboteur! Die Knochen zerbrechen wir ihm! Jeden Knochen einzeln!«
»Das ist gut, Genosse«, sagte Patrascu mit treuem Gesicht. »Es lebe die Partei und die Freiheit!«
Der Natschalnik stutzte einen Moment, dann stieg er in seinen Jeep und fuhr schnell ab.
Patrascu sah ihm lächelnd nach und war sehr zufrieden.
Wer gedacht hatte, daß in Tanescu ein Kommunist einfach verschwinden kann und alles mit einer Meldung abgetan sei, der hatte sich geirrt. Man sah es drei Tage später. Aus Bacau kam eine Kommission ins Dorf und begann, die Bauern zu verhören.
Es zeigte sich, daß die Aussagen widersprechend und äußerst merkwürdig waren. Drei Bauern hatten Wassile Popa noch gegen Mittag gesehen … ein anderer will ihn sogar in einem Maisfeld bemerkt haben … ein alter Mann, der – wie sich später herausstellte – nachtblind war, hatte Popa in der Nacht am Brunnen bemerkt.
Mihai Patrascu wurde in die Stolowaja geladen, wo die Kommission tagte. Man bat ihn allerdings nicht höflich, sondern im Hof erschienen plötzlich vier Sowjetsoldaten, stießen Patrascu mit ihren Karabinern vom Heustapel weg und trieben ihn über die Dorfstraße zur Stolowaja. Michael beobachtete es von einem Fensterschlitz unter dem Dach aus … er sah auch, wie Sonja dem Vater nachlief. Sogar Anna, die Mutter, vergaß ihren kurzen Atem und rannte, so schnell es ihre dicken Beine vermochten, der Gruppe nach zum Versammlungshaus.
Jetzt ist es soweit, dachte Michael. Er lehnte sich an das rauhe Holz, drückte den Kopf gegen die rissigen Stämme und versuchte, klar zu denken und in den letzten Stunden, die ihm bleiben würden, tapfer zu sein.
In der Stolowaja saß ein Kommissar aus Bacau hinter einem Tisch, neben sich den sowjetischen Ortskommandanten und den Natschalnik der Traktorenstation. Im Hintergrund der Halle, nahe der Tür, standen zu einem Häuflein zusammengeschart die Bauern, die bereits verhört waren. Patrascu wurde vor den Tisch gestoßen und hörte hinter sich zwei Weiberstimmen kreischen, bis die Tür zum Saal geschlossen wurde.
»Wo ist der Genosse Popa?« brüllte der Kommissar. Er spielte mit einem dicken Stempel, und Patrascu sah, daß vor ihm ein Blatt Papier lag, auf dem die Überweisung in ein Lager stand. Es fehlten nur noch der Name des Verschickten und der Stempel. Patrascu atmete schnell durch und hob die Schultern.
»Fort!«
»Er hat bei dir gewohnt! Fast zehn Jahre!«
»Trotzdem ist er fort!«
»Er muß doch irgendwann einmal etwas gesagt haben. In zehn Jahren! Hat er nie davon gesprochen, daß er ein geflüchteter Legionär war?«
Oha, das wissen sie auch schon, dachte Mihai Patrascu. Wer einen Legionär versteckt hält, wird mit dem Tode bestraft!
»Nein!« sagte er. »War er das denn?!«
»Es wird behauptet!«
»Dann muß es ja der, der es behauptet, auch beweisen können. Ich kann es nicht. Er hat nur bei mir geschlafen! Und dann ist er weg! Ein schlechter Genosse, Genossen!«
Der Kommissar betrachtete den alten Patrascu wie einen unheilbaren Patienten. Ist er so blöd, oder spielt er es nur, dachte er. Wenn man sich die anderen Bauern besieht … man könnte das Jammern bekommen, daß so viel Blödheit in einem Dorf vereint ist!
Die Verhöre wurden abgebrochen. Die Kommission verließ Tanescu. Der Natschalnik, der am allerwenigsten wußte, wurde gleich mitgenommen. Ein Mann, der zehn Jahre lang einen geflüchteten Legionär als Brigadier beschäftigt, ist eine Schande für den Kommunismus! So etwas muß man einfach bemerken! Das hat man im Gefühl … und außerdem mußte man Bukarest gegenüber und vor der Parteileitung einen Schuldigen haben! Es geht in einem geordneten System nicht an, daß niemand verantwortlich ist! Das gibt es nur in westlichen Demokratien.
Drei Tage später kam ein Trupp Sowjetsoldaten aus den Karpaten zurück. Sie schleppten in einer Zeltplane einen Toten mit. Georghe Brinse war der erste, der erfuhr, wer es war. Er rannte zu Mihai Patrascu und warf sich erschöpft und erschüttert auf die hölzerne Eckbank.
»Sie haben den Grigori, den Blöden, erschossen!« stöhnte er. »Eben haben sie ihn heruntergebracht.«
Patrascu stieß eine dichte Qualmwolke aus seiner Pfeife. Sein verwittertes Gesicht war starr.
»Sie morden wirklich nur um des Mordens willen!« sagte er dumpf. »Was hat der Blöde ihnen getan?«
»Grigori war ein Deutscher!« keuchte Brinse. Patrascu entfiel die Pfeife … sie klapperte auf den Tisch, und der glimmende Tabak verstreute sich
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