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Der letzte Karpatenwolf

Der letzte Karpatenwolf

Titel: Der letzte Karpatenwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gegen die Mägen der Soldaten. »Ihr müßt mich töten, ehe ihr ihn abführt!« schrie sie. »Erst müßt ihr mich töten!«
    »Nehmt sie mit!« sagte Lupescu von der Tür her. »Wir müssen sie sowieso verhaften als Saboteurin! Halt!« brüllte er. Patrascu war aufgesprungen. Ein langes Messer glitzerte in seiner Hand, das er dem Soldaten entgegenhielt, der nach Sonja greifen wollte. »Mach keine Dummheiten, Mihai! Mach dich nicht unglücklich! Steck das Messer weg!«
    »Sonja bleibt hier!« sagte Patrascu dumpf. »Ich habe den Deutschen zehn Jahre lang verborgen!«
    »Das wird sich alles klären. Alles! Sie jagen dich sowieso vom Hof. Damit kannst du rechnen! Und ich lasse dich erschießen, wenn du das Messer nicht wegsteckst! Und Sonja dazu, verstehst du?« Lupescu winkte den Soldaten. »Führt sie zum Wagen. Schnell!«
    Die Soldaten ergriffen Michael und Sonja. Sie gingen nebeneinander aus dem Haus … Hand in Hand gingen sie über die Dorfstraße zum Marktplatz, zu den Wagen, die von einigen Fackeln erleuchtet waren. Als sie am Popenhaus vorbeikamen, stand der Pope in der Tür. Er hob wie segnend die Hand, als die beiden vorbeigingen, und Sonja senkte den Kopf, als nehme sie den Segen entgegen.
    »Dawai!« rief jemand auf russisch. Es war die helle Stimme eines jungen Burschen. Ihm machte die Razzia sichtlich Spaß.
    Im Haus der Patrascus stand noch immer Jon Lupescu in der Tür. Er sah zu Georghe Brinse hinüber, der bis jetzt geschwiegen hatte.
    »Sie haben es auch gewußt, Doktor?« fragte er stockend.
    »Ich weiß alles.« Georghe Brinse stützte sich an der Tischkante hoch. »Du kannst mich verhaften lassen, Jon. Vor fünfundvierzig Jahren habe ich dich aus deiner Mutter geholt. Damals warst du ein armseliger Wurm, den ich in Watte packen mußte, damit er überhaupt am Leben bleibt … Es gibt Fehler, die man nie mehr gutmachen kann …«
    Wortlos verließ Lupescu das Haus. Er war der Dunkelheit dankbar, daß sie seine Blässe nicht zeigte.
    Noch in der Nacht wurden Michael und Sonja verhört.
    Während Michael im Zentralgefängnis Bacau in einer Doppelzelle mit einem Raubmörder eingesperrt wurde, der die ganze Nacht über beteuerte, seine Pistole sei aus Versehen losgegangen, weil er noch nie eine Pistole in der Hand gehabt hatte, hielt man Sonja Patrascu in einem Einzelzimmer des Polizeigewahrsams fest. Jon Lupescu, der mit ihnen aus Tanescu weggefahren war, hatte Oberst Sumjow noch nicht verständigt. »Haltet den Mund!« hatte er zu allen gesagt, die die Razzia mitgemacht hatten. »Wir werden den Fall allein aufklären und den Sowjets fix und fertig vorlegen. Das bringt uns eine Beförderung ein. Zumindest eine Belobigung aus Bukarest. Und das ist schon etwas für unsere weltvergessene Ecke, nicht wahr, Genossen?«
    In Wirklichkeit hatte ihn die kurze Bemerkung des alten Arztes tief in die Seele getroffen. Daß Georghe Brinse ihn tief verachtete, daß er seine Geburt verwünschte, war mehr als alle Schimpfworte, die hinter seinem Rücken oder sogar in sein Gesicht hinein über ihn gesprochen wurden. Auf der ganzen Nachtfahrt von Tanescu nach Bacau hatte er darüber nachgegrübelt, ob er wirklich so ein Schwein sei. Gewiß, er hatte sich nach dem Zusammenbruch des Antonescu-Systems sofort zu dem Kommunismus bekannt, weil er ahnte, daß vom Osten die neue Welle kommen würde. Und als man König Michael aus dem Land jagte und die Herren aus Moskau die Regierung antraten, war er über sich selbst hinausgewachsen und hatte in der Parteizeitung eine Lobrede auf Stalin und die russischen Freunde und Befreier veröffentlicht. Er hatte es halb aus Überzeugung getan, denn weit und breit war niemand, der Rumänien aus dem Dreck ziehen konnte, worin es der Krieg gestürzt hatte. Und lieber geht man mit dem Teufel zusammen, als mit einem Palmwedel in der Hand zu verrecken.
    So jedenfalls hatte Jon Lupescu gedacht und danach gehandelt. Daß es falsch war, das sah er jetzt ein. Aber jetzt war es zu spät.
    In dieser Nacht aber, kaum in Bacau wieder angekommen, regte sich in ihm der letzte Funke von guter Erinnerung an das Gestern. Er dachte an die Freundschaft mit Mihai Patrascu, an seine Jugend im Nachbardorf von Tanescu, an die Ostertänze und an das kleine, schwarzhaarige Mädchen Sonja, das er, kaum daß es laufen konnte, auf den Knien geschaukelt hatte und ihm die Lieder der Karpaten vorgesungen hatte.
    Sonja, die jetzt wegen Sabotage und Verbergen deutscher Soldaten das Todesurteil erwartete!
    Jon Lupescu

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