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Der letzte Karpatenwolf

Der letzte Karpatenwolf

Titel: Der letzte Karpatenwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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mehr, der über den Toten hinausführte in die Zukunft. Popa war ein Schlußstein geworden, ein Felsen, der alles versperrte. Mit Popa zerbrach die Welt Michaels und Sonjas. Zehn Jahre Hoffnung verbluteten in einem Maisfeld hinter dem Haus der Patrascus.
    Sie standen noch immer wie stumme Totenwachen neben Wassile Popa, als der alte Mihai Patrascu vom Haus hinüber zum Feld kam, um zu sehen, wo Sonja bliebe. Das Abendessen mußte gekocht werden … Anna, die Mutter, fühlte sich nicht wohl. Sie kränkelte im letzten Jahr etwas. Es ist das Herz, hatte der alte Doktor Brinse gesagt. Er war jetzt in einem biblischen Alter, hatte schlohweiße Haare, ging nach vorne gebückt an einem dicken Stock, dessen Krücke er sich selbst aus einer Wurzel geschnitzt hatte, und wurde noch immer im ganzen Umkreis gebraucht, weil er den Bauern die Wahrheit sagte. Der neue Arzt, den der Distrikt bekommen hatte, ein ›Jüngelchen aus Bukarest‹, wie ihn die Männer und Frauen um Bacau nannten, war ein zu glatter Mann, der alles bagatellisierte und erst wenn die Leute starben, sagte: »Das habe ich gewußt!«
    Da war der alte Georghe Brinse anders. Der kam in die Hütte, sah die alte Katinka kurz an, klopfte ihr auf die Schulter und meinte: »Katinkaschka – du hast die Reiseschuhe an! Morgen geht's ab. Bete noch einmal …«
    So etwas mochten die Bauern. Das war ehrlich und wahr. Für sie war der Tod kein Schrecken. Geburt und Sterben waren ein Rhythmus der Natur, dem ihr ganzes Leben unterworfen war. Sie sahen es täglich, sie lebten mit ihm, es war selbstverständlich.
    Bei Anna Patrascu hatte Brinse mit seinen Weissagungen gezögert. Er hatte sie abgehorcht, abgeklopft, Blutdruck gemessen und den Puls gezählt. »Das Herz, Annaschka«, hatte er gesagt. »Du hast dich krumm gearbeitet! Du mußt dich schonen! Laß Sonja und Michael auf dem Hof arbeiten und setz dich in die Sonne! Du hast ein paar Jahre Ruhe verdient. Sieh einmal – das Herz ist eine Maschine, wie ein Traktor, wie ein Pflug, wie eine Egge. Und nun ist diese Maschine über sechzig Jahre in Betrieb … ohne Schmierung, ohne Pflege, ohne Entrosten … immer nur unterwegs! Tja, und nun ist Sand hineingekommen, und der Sand reibt die Maschine auf, wenn sie weiterläuft. Das begreifst du doch …?!«
    Anna und der alte Mihai verstanden es wohl. Wer konnte Brinse nicht verstehen?! »Sie wird sich schonen«, sagte Mihai Patrascu zu Georghe. »Auf dem Feld werden die Jungen arbeiten!«
    »Und kochen wird Sonja!«
    »Wir werden sehen.«
    Heute nun lag Anna auf dem Bett. Die Hitze setzte ihr zu. Der Atem war kurz gegangen, als sie Kleie für die Schweine anrührte. Der Trog hatte vor ihren Augen getanzt, als springe er um das Osterfeuer. Und das Grunzen der Schweine hatte wie Posaunen geklungen. Da war sie ängstlich geworden und sofort ins Bett gekrochen.
    »Sonja!« rief Mihai Patrascu schon von weitem, als er das Kopftuch seiner Tochter neben dem Haarschopf Michaels im Maisfeld entdeckte. »Soll man das für möglich halten?! Im Haus ringt Mütterchen nach Atem, und die Jungen stehen nach zehn Jahren noch immer im Feld und gurren wie die Täubchen! Komm her und koch zu Abend! Schnell!«
    Als er näherkam, sah er den erstochenen Popa im Mais liegen. Er blieb stehen und starrte in das verzerrte Gesicht des Toten.
    »Nana«, sagte er leise. Seine Stimme war noch gelähmt und ohne Ton. »Mit so etwas mußte man rechnen … Graben wir ihn ein … mitten im Mais … das fällt am wenigsten auf. Im Frühjahr pflüge ich darüber …«
    Michael fuhr herum. Sein Gesicht war weiß. »Ich bin ein Mörder!« schrie er grell. Der alte Patrascu nickte schwer.
    »Du wirst es bleiben, auch wenn du schreist! Also schrei nicht – überlege! Später reden wir weiter. Sonja geht ins Haus und kocht! Und wir begraben Popa!«
    »Und … und dann –?«
    »Es wird alles kommen, wie es kommen muß. Kannst du es ändern?«
    »Nein. Aber die Sowjets werden mich erschießen!«
    »Das werden sie …«
    »Und das sagst du so ruhig?« schrie Sonja. Sie umklammerte Michael, als wolle man ihn schon von ihr wegreißen. Der alte Patrascu schüttelte den Kopf.
    »Man wird ihn auch erschießen, wenn ich es unruhig sage.« Er faßte Sonja an der Schulter, riß sie von Michael weg und gab ihr einen Stoß, daß sie aus dem Kreis um den Toten hinausstolperte. »Geh und koch! Alles andere ist Männersache!«
    Sonja senkte den Kopf und ging langsam zum Haus zurück.
    In der Dämmerung hoben der alte Mihai und Michael

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