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Der letzte Karpatenwolf

Der letzte Karpatenwolf

Titel: Der letzte Karpatenwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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mitten im Maisfeld ein Grab aus. Sie machten es tief genug, trugen Wassile Popa dann in die Grube, betteten ihn hinein und schaufelten das Loch wieder zu. Dann setzten sie die Maispflanzen wieder über das kleine Rechteck, trugen die übriggebliebene Erde in einer Zeltplane zum Waldrand und verstreuten sie weit. Dann standen sie am Rande des Maisfeldes und sahen hinüber, wo Popa liegen mußte. Man konnte es nicht mehr erkennen.
    »Sollen wir beten?« fragte der alte Mihai. Er kratzte sich den Kopf. »Wir hätten es eigentlich dem Popen sagen müssen. Auch Popa war ein Christ … trotzdem er Kommunist war. Ich habe einmal gesehen, wie er an einem Abend vor dem Bild der Jesusmutter stand und sich bekreuzigte.« Der alte Patrascu wischte sich über die Augen. »Wer war er eigentlich? Man wurde nicht klug aus ihm! Wo kam er her?«
    »Er war ein Legionär«, sagte Michael leise. Der alte Mihai fuhr herum.
    »Du kennst ihn? Ein Legionär?! Nie! Er war doch Brigadeführer der Traktorenstation!«
    »Er lebte unerkannt, wie ich! Er war bei Neculae Tripadus in den Vrancei-Bergen. Ein Mann der ›Eisernen Garde‹. Ich war kurz bei ihnen … sie wollten mich als Lockvogel den Sowjets opfern …«
    Patrascu wandte sich ab. »Gehen wir«, sagte er hart. »Man sollte kein Mitleid haben. Die Menschen sind ein merkwürdiges Geschlecht. Mit jeder neuen Geburt kommt neues Unheil über die Erde. Wollt ihr Kinder haben … du und Sonja …?«
    »Ja.«
    »Und eure Kinder werden wieder Kinder haben, und diese auch … und so geht es weiter, immer weiter … Komm – gehen wir essen …«
    Er wandte sich ab und trottete zum Haus zurück.
    Michael blieb allein am Rand des Maisfeldes. Er sah hinüber, wo Wassile Popa lag. Der Wind von den Bergen bewegte die Maiskolben gleich einem wogenden gelben Meer.
    Michael schloß die Augen. Schluchzen schüttelte ihn wieder. Er hatte Angst vor dem Sterben …
    Am nächsten Morgen wurde Wassile Popa in der Traktorenstation vermißt.
    »Er wird gesoffen haben!« sagte der Natschalnik böse. »Es ist immer dasselbe! Da macht man einen zum Brigadier, und schon pinkelt er einem zum Dank in die Stiefel!«
    An diesem Tage ging es noch ohne Popa. Aber am zweiten Tag wurde der Natschalnik unruhig und fuhr nach Tanescu. Mihai Patrascu empfing ihn in der Tür des Hauses, als er aus dem jeepähnlichen Geländewagen sprang.
    »Was macht denn der Wassile?« schrie der Natschalnik. »Ist er krank?«
    »Der Wassile? Aber Brüderchen … der ist doch weg!«
    »Was ist er?« brüllte der Natschalnik. »Weg?!«
    »Ja. Weg!« Patrascu nickte etwas dumm. Naivität ist von jeher der beste Schutz gegen lästige Fragen gewesen. Auch der Natschalnik war verblüfft, ehe er mit großen Schritten auf Patrascu zukam.
    »Er kann doch nicht einfach weggehen?« rief er entsetzt. Er dachte an die Meldung, die er nach Bacau schicken mußte. »Mein Brigadier ist weggegangen«, mußte er schreiben. Wohin – unbekannt! Und so etwas in einem kommunistischen Staat! Unter den Augen der Kommissare! Im zehnten Jahre der Volksdemokratisierung. Einfach weg! Wie fortgezaubert. Hupp – der Popa ist verschwunden! Das gab Ärger mit der Partei, mit Oberst Boris Petrowitsch Sumjow, mit Bukarest. Das gab einen ganz großen Stunk! In seinen Gliedern knisterte plötzlich die Angst.
    »Wo ist er denn hin?« fragte er stockend. Patrascu hob die breiten Schultern.
    »Bin ich sein Beichtvater, Brüderchen? Er hat seine Sachen gepackt, hat gesagt: Jetzt gehe ich – und weg ist er. Nach zehn Jahren! Das ist – meine ich – auch keine gute Behandlung seiner Wirte. Ich habe ihm zehn Jahre lang zu essen gegeben, ich habe ihm zehn Jahre lang –«
    »Aber er kann doch nicht weggehen!« schrie der Natschalnik wieder. Patrascu sah den dicken Mann wieder dumm an.
    »Warum denn nicht? Er ist doch ein freier Mann! Wir Kommunisten sind doch die freiesten Bürger der Welt – sagt man uns immer –«
    »Wann ist er gegangen?« brüllte der Natschalnik. Es war unter seiner Würde, sich mit einem solchen Klotz wie Mihai Patrascu über Politik zu unterhalten.
    »Gestern. Schon am Morgen! Er pfiff beim Weggehen sogar einen Walzer!«
    »So ein Schuft! So ein räudiger Hund!« rief der Natschalnik erschüttert. Patrascu nickte.
    »Mein Mädchen läßt die Röcke fliegen … pfiff er«, sagte er.
    Wortlos drehte sich der Natschalnik weg und ging zu seinem Wagen zurück. »Wir werden ihn finden!« rief er über die Schulter hinweg. »Und dann wird er im Steinbruch

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