Der letzte Karpatenwolf
Lupescu winkte. Die Milizsoldaten versperrten die Türen … nach draußen, zum Nebenraum, auch vor das Fenster stellte sich einer.
Langsam stand Michael auf. Er hielt noch immer Sonjas Hand in der seinen … Das ist der Abschied, dachte er. Jetzt gibt es kein Entrinnen mehr. Es waren zehn schöne, zehn herrliche Jahre, auch wenn man sie unter dem Dach verbrachte. Aber es waren Jahre mit Sonja … und es gab Nächte, da hatte er sich nur mit ihren langen, schwarzen Haaren zugedeckt und war in der Beuge ihres weißen Armes eingeschlafen. Zehn Jahre verbotenes, erhetztes Glück … man muß für alles in diesem Leben bezahlen.
»Ich lasse dich nicht allein«, flüsterte Sonja, als sich Michael erhob. Lupescu schoß mit ein paar Schritten vor.
»Ruhe«, brüllte er. »Was hast du gesagt?!«
Patrascu wollte etwas erwidern, aber Michael schüttelte den Kopf. Gleichzeitig sagte er:
»Ich bin Michael Peters. Ein deutscher Soldat.«
Er sagte es in deutscher Sprache. Jon Lupescu zuckte zusammen. Dann lief ein breites Lächeln über sein Gesicht.
»Als wenn ich es geahnt hätte!« Er sah zu Patrascu herunter, der mürrisch seine Pfeife neu stopfte. »Mormeth wohnte bei dir … er wurde ermordet! Popa wohnte bei dir – er verschwand! Merkst du etwas, Genosse Mihai?! Hörst du die Nachtigall singen? Immer wenn einer den Deutschen entdeckte, mußte er abgehen. Im geachteten Haus der Patrascus!«
»Er hat es nicht getan!« schrie Sonja auf. »Er hat Mormeth nicht –«
»Wir werden ihn verhören! In Bacau. In Bukarest. In Moskau.« Lupescu rieb sich die Hände. »Oh, wie werden wir ihn verhören!« Er fuhr zu Michael herum. »Wie lange bist du hier?!«
»Ein Jahr erst!« sagte Michael schnell. »Ich lebte solange bei Grigori und im Wald.«
»Zwölf Jahre ist er hier!« schrie Sonja. Sie umklammerte Michael und sah Lupescu mit einem Haß an, der ihr schönes, rundes Gesicht verzerrte. »Jaja … zwölf Jahre, du Idiot! Oben unterm Dach hat er gelebt … wir sind Mann und Frau vor Gott … und wir würden es vor dem Gesetz sein, wenn euer Kriegswahnsinn nicht Gesetzlose aus uns gemacht hätte! Was hat Mihai euch getan? Ist er schlechter als jene da« – sie zeigte auf die vier Milizsoldaten, die stumm an den Türen und dem Fenster standen –, »nur weil er eine andere Uniform trug?! Als er auszog, war er jünger als die dort! Er war wie ein Kind … und ihr habt ihn gehetzt, jahrelang, durch die Felsen, durch die Wälder, die Berge hinauf bis unter die Wolken … nur weil er gezwungen wurde, in unser Land zu kommen in einer Uniform und mit einer Sprache, die wir nicht verstanden? Ist das ein Verbrechen? Hat er den Krieg gewollt? Hast du ihn gewollt, Lupescu … und wenn du ehrlich bist, sagst du nein … und trotzdem bist du ein Knecht der Knechtschaft geworden und wirst getreten und mußt Heil dazu rufen, je mehr man dich tritt!«
»Das Weibsstück ist verrückt!« sagte Lupescu verwirrt. »Patrascu, hau ihr eins hinter die Ohren!«
»Warum?« Patrascu steckte seine Pfeife an. »Wir haben bei der Schulung gelernt: Jeder kann seine Meinung äußern, wenn sie dem Staat nützt. Ich meine, Sonja nützt dir sehr viel!«
»Warum willst du Mihai mitnehmen, he?« schrie Sonja wild. »Elf Jahre nach Kriegsende?! Hat er nicht genug gebüßt?! Und wofür soll er büßen? Weil er Deutscher ist? Weil ihn der Krieg wegschwemmte nach Tanescu? Ist das seine Schuld? Deine Schuld ist es, mit sehenden Augen der Ungerechtigkeit zu dienen. Es wird dir keiner verzeihen! Aber Mihai hatte noch gar nicht sehen gelernt, als er wie ein Wolf in die Berge flüchten mußte, weil ihr schlimmer wart als blutrünstige Wölfe! Laß ihn hier, Jon Lupescu … laß ihn hier!«
»Was das Weib sich denkt!« Lupescu wischte sich den plötzlich ausgebrochenen Schweiß aus der Stirn. Was Sonja ihm entgegenschrie, das sah er in den Augen der stumm Zuhörenden widergespiegelt. Seine Schuld! Sein Verrat an Rumänien. Seine Knechtsdienste für Moskau. Seine hündische Angst vor Sumjow.
»Mitnehmen!« brüllte er plötzlich auf. »Mitnehmen, du deutsche Sau!«
Er hieb mit der Faust auf den Tisch und wandte sich dann ab.
Die vier Milizsoldaten ergriffen Michael und zerrten ihn hinter dem Tisch hervor. Er ließ es wehrlos geschehen. Es war sinnlos, sich zu sträuben.
»Ich lasse dich nicht allein!« schrie Sonja grell. Sie krallte sich in Michaels Jacke fest. Sie hieb mit der freien Faust auf die Milizsoldaten ein, sie trat um sich und stieß mit dem Kopf
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