Der letzte Krieger: Roman
Gruft glichen sie eher zwergischen Luftschächten.
Zu beiden Seiten lagen Leichen auf steinernen Bänken aufgereiht. Einige hatte man auf Kissen gebettet, andere direkt auf die Steinplatten gelegt. Vereinzelt zeugten getrocknete Blumen zu ihren Füßen von den Besuchen Angehöriger. Trotz der offenen kleinen Fenster roch es muffig, und ein Hauch der Balsamieröle hing in der Luft. Athanor ließ den Blick über die Toten schweifen, während er den Mittelgang abschritt. Es war kühl hier unten, doch im Sommer nicht kühl genug, um einen frischen Leichnam schnell genug zu konservieren. Er glaubte, genau sagen zu können, wer von diesen Menschen im Sommer und wer im Winter gestorben war, denn einige waren bereits bis zur Unkenntlichkeit verwest, bevor sie getrocknet waren. An ihren Knochen klebte kaum noch Haut. Andere sahen lediglich sehr hager und unnatürlich braun aus. Von einem Dorfbalsamierer durfte man keine Wunder erwarten, denn die besten Zutaten kosteten den Preis eines Pferds.
Athanor blieb an der Rückwand stehen, wo eine weitere Tür in den Raum der Vergessenen führte, und beobachtete Elanya dabei, wie sie die Leichen betrachtete. Ihre neugierige Miene war tiefem Ernst gewichen. Auf einigen Gesichtern ruhte ihr Blick länger, doch er konnte kein Muster dahinter erkennen. Sie blieb weder bei den kaum noch verhüllten Totenschädeln, noch bei den besonders gut erhaltenen Leichen öfter stehen.
»Sie sind kein schöner Anblick«, stellte sie schließlich fest. »Warum möchten die Menschen sie nicht in Erinnerung behalten, wie sie vor ihrem Tod aussahen?«
»Ich glaube, wir brauchen etwas, das uns an sie erinnert, sonst denken wir zu schnell überhaupt nicht mehr an sie.« So wie ich an Anandra und Theleus , fiel ihm mit schlechtem Gewissen ein.
»Dafür könntet ihr sie auch in Stein meißeln oder aus Holz schnitzen oder aus Gold oder Silber ein kleines Bildnis fertigen«, befand Elanya. » Alles wäre besser, als sie hier in ewigem Tod liegen zu lassen.«
»Der Tod ist ewig«, gab Athanor gereizt zurück. Mit welchem Recht verurteilte die Elfe Theroias Bräuche?
»Nur für eure Seelen«, betonte sie. »Warum gebt ihr nicht wenigstens eure Körper dem Sein zurück, damit neues Leben aus ihnen entstehen kann?«
»Du meinst, wir sollten sie den wilden Tieren zum Fraß überlassen wie die Orks?«
» Wir tun es auch«, eröffnete sie ihm.
Von welchem »wir« spreche ich eigentlich? »Na, wenn es dich beruhigt, mein Körper wird wohl irgendwann dort draußen verwesen und gefressen werden.«
Dass sie beschämt seinem Blick auswich, linderte seine Wut ein wenig. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Davaron beinahe zärtlich die blonde Locke einer Mumie durch seine Finger gleiten ließ.
Im plötzlichen Schweigen bemerkte der Elf, dass er beobachtet wurde, und zog hastig die Hand zurück. Zorn loderte in seinen Augen auf. »Hast du jetzt genug Leichen gesehen, Elanya? Es stinkt erbärmlich hier.«
»Eine Heilerin sollte Leben und Tod kennen«, schnappte sie und ging doch zur Treppe zurück.
»Es tut mir leid«, sagte Elanya, als sie in einem der verlassenen Häuser saßen und der Sturm an den Läden rüttelte. »Es war taktlos von mir, dich auf diese Weise daran zu erinnern, dass du dein Volk verloren hast.«
Athanor nahm einen Schluck Wasser und verdrängte die Ähnlichkeit zwischen den Mumien und dem zähen Dörrfleisch, auf dem er gerade gekaut hatte. »Es gibt Schlimmeres. Zum Beispiel … sein ganzes Volk zu verlieren.« Er hatte es als Scherz vorbringen wollen, doch er merkte, dass es nicht danach klang.
Elanya bedachte ihn mit einem undeutbaren Blick.
Warum rutschte ihm bei ihr immer heraus, was ihm gerade durch den Kopf ging? Mit seiner Schwester hatte er sich geschliffene Wortduelle geliefert und die Töchter der Vornehmen zum Lachen gebracht. Er wusste, wie man mit vorlauten Huren sprach und mit welchen Worten man kichernde Mägde in verschwiegene Winkel lockte. Aber wie er Elanya für sich gewinnen konnte, wollte ihm einfach nicht einfallen. Bestimmt lag es an Davaron. Seine düstere Präsenz taugte dazu, jedes Vergnügen im Keim zu ersticken.
Das Unwetter kam näher. Heulend pfiff der Wind ums Haus und durch die Ritzen der klappernden Fensterläden. Die Flammen des Feuers auf der Herdstelle flackerten. Regen prasselte aufs Dach. In der Ferne trommelten Rethors Donnerfäuste auf das Land ein.
Davaron merkte auf. Hatte er neuerdings Angst vor Gewittern? Missmutig beobachtete Athanor, wie der
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