Der letzte Massai
der
Manyatta
durchsuchten.
Seit eh und ja waren die Purko-Massai während der Trockenzeit zu dem See gekommen. Es war immer ein Ort des Trostes gewesen, eine Ruhepause in der unablässigen Suche nach Weideflächen an anderen Stellen ihres ausgedehnten Territoriums. Sie blieben für gewöhnlich in der Nähe des Sees, bis der Regen kam und mit ihm junge Sprösslinge, die die Massai und ihr Vieh zu dem riesigen Grasozean lockten. Mit dem Regen kamen die zahllosen wilden Weidetiere, die sich die Fülle der Jahreszeit mit den Massai teilten. Diese Tiere waren keine Rivalen, sondern Verbündete in dem Prozess, das Weideland durch ihr fortwährendes Grasen schmackhafter zu machen.
Ole Sadera wusste, dass der Sergeant nach ihm suchte. Seine Il Tuati und er waren die letzte noch verbliebene Gruppe in dem großen Tal. Aber er war nicht in der Stimmung, mit noch einem Abgesandten von Commissioner Stewart zu sprechen. Er war des Redens müde, ausgelaugt von den Argumenten über Gerechtigkeit und von seinen Bemühungen, im Tal zu bleiben, bis es hoffnungslos geworden war. Er wollte so lange wie nur eben möglich an dem festhalten, was ihm – was ihnen – gehörte.
Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass die
Askaris
erneut kamen, um ihn und seine Leute zu schikanieren, nein, es musste auch noch eine Truppe Kikuyu sein – die, solange die Geschichten der Alten in der Zeit zurückreichten, Feinde der Massai waren. Die Kikuyu waren seit der Ankunft der Massai in dem großen Tal die verhassten – und bisweilen respekteinflößenden – Gegner der Massai gewesen. Nun waren sie als Freunde der Briten hier, um in deren Auftrag ihre alten Feinde aus dem Tal zu jagen, das die Massai ihnen unter großem Blutvergießen abgerungen hatten.
Ole Sadera musste sich eingestehen, dass die Dienste, die die Kikuyu der britischen Sache erwiesen, nicht schlimmer waren als das, was die Massai selbst getan hatten. Was, genau genommen, er, Ole Sadera, anderen wie den Nandi angetan hatte, als er und seine Brüder vor ein paar Jahren mit Rindern dafür bezahlt worden waren, an einem Vergeltungsangriff gegen sie teilzunehmen. Nun juckte es ihm in den Fingern, dieses Mal mit seinem Speer und seinem
Simi
die arroganten Briten anzugreifen. Aber er wusste, dass die Stärke der Massai der Vergangenheit angehörte. Es waren zu viele Kriege geführt worden, zu viele
Moran
hatten im Kampf, durch die Pocken und bei der Hungersnot, die dem Tod ihres von der Rinderpest befallenen Viehs folgte, ihr Leben verloren. Eine Geißel nach der anderen hatte ihre Zahl dezimiert. Nun vermochten er und andere Anführer nur ihre Ohnmacht zu beklagen und den Tag zu verfluchen, an dem sie den Briten erlaubt hatten, sie einer dürftigen Kriegsbeute zuliebe dazu zu verleiten, nach den Waffen zu greifen und gegen einen anderen Stamm zu kämpfen.
Er dachte darüber nach, was hätte sein können. Die Nandi hatten sich jahrelang erfolgreich dem Einmarsch des weißen Mannes in ihr Land widersetzt – viel länger, als die Massai es getan hatten. Sie hatten der Eisenbahnlinie und den Männern, die die Züge durch die Nandi-Berge lenkten, großen Schaden zugefügt. Zu der Zeit waren die britischen Streitkräfte noch nicht so stark. Er fragte sich, was geschehen wäre, wenn sich die Massai mit den Nandi verbündet hätten, anstatt die Waffen gegen sie zu erheben. Wenn sie sich mit ihnen und anderen, die willig waren, gegen den gemeinsamen Feind zu kämpfen, zusammengetan hätten. Wenn sie es getan hätten, wäre das angestammte Land vielleicht noch in den Händen seiner rechtmäßigen Besitzer.
Ole Sadera biss die Zähne zusammen. Er schob das Unvermeidliche hinaus. Er trat aus dem Schatten des Feigenbaums und ging widerwillig den Abhang hinunter, um mit dem Sergeant zu sprechen, der laute Worte finden und mit den Armen fuchteln, ihm drohen und toben würde. Und Ole Sadera würde ihm zuhören und dieses Mal zustimmen, Naivasha zu verlassen. Für immer.
Als
Olaiguenani
hatte er eine einflussreiche Position inne, besaß aber keine Macht, nicht einmal über seine eigene Altersgruppe. Der
Laibon,
Lenana, herrschte über alle Gruppen der Massai, und er hatte seine feste Überzeugung dargelegt, dass das Volk in die beiden Reservate ziehen musste. Ole Sadera wusste, dass die Schlacht für ihn verloren war. Sein Herz war erfüllt von Traurigkeit. Er hatte das Gefühl, versagt zu haben, dennoch wusste er, dass er nichts weiter tun konnte. Die Entscheidung für den Kampf würde die
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