Der letzte Mohikaner: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
finstere Wolke von Wilden, welche den Marsch ihrer Feinde beobachteten und Geiern ähnlich in einiger Entfernung lauerten, während sie nur die Gegenwart und der Zwang eines überlegenen Heeres abhielt, über ihre Beute herzustürzen. Einige hatten sich sogar unter die Kolonnen der Besiegten gemischt, wo sie in finsterem Unmut als aufmerksame, einstweilen noch untätige Beobachter der sich bewegenden Menge mitwanderten. Der Vortrab, von Heyward angeführt, hatte bereits das Defilee erreicht und verschwand allmählich, als Coras Aufmerksamkeit sich durch ein lautes Gezänk auf einen Trupp von Nachzüglern richtete. Ein Soldat von den Provinzialen büßte seinen Ungehorsam, indem er eben der Effekten beraubt wurde, die ihn veranlasst hatten, seinen Platz in den Reihen zu verlassen. Der Mann war von starkem Körperbau und zu eigennützig, um sich seine Habe ohne Widerstand entreißen zu lassen. Von beiden Seiten mischte man sich in den Streit, die einen, den Raub zu verhindern, die anderen, um ihn zu unterstützen. Die Stimmen wurden immer lauter und ungestümer, und Hunderte von Wilden erschienen wie mit einem Zauberschlag, wo man vor einem Augenblick kaum ein Dutzend zählen konnte. Jetzt erblickte Cora die Gestalt Maguas, unter seinen Landsleuten umherschleichend, mit seiner arglistigen und verderblichen Beredsamkeit zu ihnen redend. Die Masse der Weiber und Kinder blieb stehen und drängte sich gleich einer verscheuchten, hin- und herflatternden Taubenschar aneinander. Doch die Raubsucht des Indianers war bald befriedigt, und der Zug ging wieder langsam vorwärts.
Die Wilden zogen sich jetzt zurück und schienen ihre Feinde ohne fernere Störung weiterziehen lassen zu wollen. Als aber der Weiberhaufen herannahte, zog die bunte Farbe eines Schals die Augen eines wilden und unbewachten Huronen auf sich. Er kam herbei, um sich desselben ohne weiteres zu bemächtigen. Die Frau hüllte, mehr aus Schrecken, denn aus Liebe zu dem Kleidungsstück, ihr Kind in den gefährdeten Schmuck und drückte beide fester an ihre Brust. Cora wollte eben sprechen und dem Weibe raten, die Kleinigkeit dem Wilden zu überlassen, als dieser den Schal fahren ließ und das schreiende Kind aus ihren Armen riss. Alles den gierigen Griffen der Wilden um sie her überlassend, stürzte die Mutter verzweiflungsvoll auf ihn, um ihr Kind zurückzufordern. Der Indianer lächelte grimmig und reckte eine Hand aus, seine Bereitwilligkeit zu einem Tausche anzudeuten, während er mit der anderen das Kind an den Füßen um den Kopf schwang, als wollte er dadurch das Lösegeld steigern.
»Hier – hier – da – alles – alles!«, rief die unglückliche Mutter mit zitternden, ungeschickten Fingern die leichteren Kleidungsstücke sich vom Leibe reißend, »nimm alles, nur gib mir mein Kind wieder!«
Der Wilde verschmähte die wertlosen Lappen, und sobald er gewahrte, dass der Schal bereits die Beute eines anderen geworden war, ging sein spöttisches, aber tückisches Lächeln in einen Ausdruck der Wut über; er zerschmetterte dem Kinde den Kopf an einem Felsen und warf die noch zuckenden Glieder der Mutter vor die Füße. Einen Augenblick stand die Arme regungslos, ein Bild der Verzweiflung, da und blickte wild auf das entstellte Wesen, das sich erst noch an ihren Busen geschmiegt und ihr zugelächelt hatte; dann erhob sie Augen und Gesicht gen Himmel, als flehte sie Gott an, den ruchlosen Verbrecher zu verderben. Die Sünde eines solchen Gebets blieb ihr erspart: Wütend über die getäuschte Hoffnung und durch den Anblick des Blutes aufgeregt, spaltete ihr der Hurone mit seinem Tomahawk den Schädel. Die Mutter sank unter dem Streich und stürzte zu Boden, nach ihrem Kinde mit derselben überwältigenden Liebe greifend, mit der sie es im Leben umfasst hatte.
In diesem gefahrvollen Augenblick brachte Magua beide Hände an den Mund und ließ das verhängnisvolle, furchtbare Kriegsgeschrei ertönten. Die zerstreuten Indianer fuhren bei dem wohlbekannten Rufe auf, wie Rosse, ungeduldig, die Schranken des Ziels zu durchbrechen, und plötzlich erscholl durch die Ebene und die Baumgewölbe des Waldes ein so schreckliches Geheul, wie es selten aus Menschenkehlen vernommen war. Denen, welche es hörten, gerann das Herzblut in einem Entsetzen, wohl nicht viel geringer, als wenn die Posaune des jüngsten Tags ertönt wäre.
Mehr als zweitausend Wilde brachen auf dieses Signal wütend aus dem Walde und zogen mit instinktiver Eile auf die verhängnisvolle
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