Der letzte Mohikaner: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Ebene. Wir verweilen nicht bei den empörenden Gräuelszenen, die jetzt erfolgten. Überall war der Tod, und zwar in seinen schrecklichsten, abscheulichsten Gestalten. Widerstand diente nur dazu, die Wut der Mörder noch mehr zu entflammen. Sie führten noch ihre wütenden Streiche, wenn ihre Opfer sie schon lange nicht mehr fühlen konnten. Die Ströme von Blut glichen den Wogen eines Gießbachs, und sein Anblick machte die Eingeborenen so hitzig und wütend, dass manche unter ihnen niederknieten, um unter höllischem Jauchzen die dunkelrote Flut aufzutrinken.
Die regulären Truppen warfen sich schnell in gedrängte Massen zusammen, um den Angreifern durch eine geschlossene Schlachtordnung zu imponieren. Der Versuch gelang zum Teil, aber nur zu viele Soldaten ließen sich, in der eitlen Hoffnung, die Wilden zu beschwichtigen, die ungeladenen Flinten aus den Händen reißen.
Während einer solchen Szene vermochte niemand die vorübereilenden Augenblicke zu zählen. Zehn Minuten, für sie ebenso viele Jahrhunderte, mochten die Schwestern erstarrt vor Entsetzen und beinahe rettungslos gestanden sein. Als der erste Streich gefallen war, hatten sich ihre Begleiterinnen laut kreischend um sie zusammengedrängt, jede Flucht verhindernd, und nun, da Furcht oder Tod die meisten, wo nicht alle, zerstreut hatte, sahen sie nirgends einen Ausweg, der nicht unter die Tomahawks der Feinde geführt hätte. Von allen Seiten hörte man Geschrei, Gestöhn, Ermahnungen und Flüche. In diesem Augenblick war es Alice, als erblickte sie die hohe Gestalt ihres Vaters unaufhaltsam über die Ebene in der Richtung des französischen Lagers dahineilend. Er war allerdings, keine Gefahr achtend, auf dem Wege zu Montcalm, um die nun zu späte Begleitung, die er ausbedungen hatte, zu verlangen. Fünfzig blitzende Streitäxte, Speere und Widerhaken drohten seinem Leben, aber selbst noch in ihrer Wut achteten die Wilden seinen Rang und seine unerschütterliche Ruhe. Die verderblichen Waffen wichen der immer noch nervigen Hand des Veteranen oder senkten sich, als hätte keiner den Mut, den lange gedrohten Streich zu vollführen. Zum Glück suchte der rachesüchtige Magua sein Opfer gerade unter der Abteilung, welche der Veteran soeben verlassen hatte.
»Vater! – Vater! – wir sind hier!«, schrie Alice, als er in geringer Entfernung, wie es schien, ohne auf sie zu achten, an ihnen vorübereilte. »Komm zu uns, Vater, oder wir sterben!« Der Hilferuf ward wiederholt und in Worten und Tönen, die ein Felsenherz gerührt haben würden, aber er blieb unbeantwortet. Einmal wohl schien der alte Mann wirklich die Töne vernommen zu haben, denn er hielt inne und horchte; aber Alice war besinnungslos zu Boden gesunken und Cora kniete ihr zu Seite, mit unermüdlicher Zärtlichkeit über der leblosen Gestalt weilend. Munro ging getäuscht und kopfschüttelnd weiter, nichts als die hohen Pflichten seiner Stellung im Auge.
»Lady«, sprach Gamut, der, so hilf- und nutzlos er auch war, nicht davon träumte, seine Schutzbefohlenen zu verlassen, »das ist ein Jubelfest der Teufel, und kein Ort, wo Christen verweilen können. Auf! Lasst uns fliehen!«
»Geh«, sprach Cora, immer noch ihre besinnungslose Schwester anstarrend; »rette dich. Mir kannst du nicht mehr helfen!«
David begriff die Festigkeit ihres Entschlusses vermöge der einfachen, aber ausdrucksvollen Gebärde, welche ihre Worte begleitete. Einen Augenblick schaute er noch auf die dunklen Gestalten, welche rings um ihn her ihr Höllenwerk vollbrachten, und seine hagere Gestalt ward noch höher, während seine Brust sich hob, jeder seiner Züge schwoll und die Gewalt der Gefühle, die ihn beherrschten, hervorströmen zu wollen schien.
»Wenn der jüdische Hirtenknabe durch den Klang seiner Harfe und die Worte heiligen Gesanges Sauls bösen Geist bezwingen konnte, so wird es nicht am unrechten Orte sein«, sprach er, »wenn ich hier die Macht der heiligen Musik versuche.«
Seine Stimme zur höchsten Höhe erhebend, begann er einen so mächtigen Gesang, dass er selbst in dem Getümmel des blutigen Schlachtfeldes hörbar wurde. Einige Wilde stürzten eben heran, um die unbeschützten Schwestern ihres Schmuckes zu berauben und ihnen die Skalps abzuziehen, als sie aber diese seltsame und unbewegliche Gestalt fest an ihre Stelle gefesselt erblickten, blieben sie horchend stehen. Ihr Staunen ging bald in Bewunderung über, und offen ihren Beifall über die Standhaftigkeit ausdrückend, womit der
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