Der letzte Mohikaner: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
begann und endigte seinen Gesang mit jener Bestimmtheit, die nicht leicht eine Unterbrechung sich gefallen ließ. Heyward konnte kaum erwarten, bis die Verse zu Ende waren, und fuhr, sobald er sah, dass David seine Brille in das Futteral und das Buch in die Tasche steckte, fort:
»Eure Pflicht wird sein, dafür zu sorgen, dass niemand den Ladys in einer rohen Absicht sich nahe oder das Unglück ihres tapferen Vaters schmähe oder verhöhne. Die Diener ihres Haushalts werden Euch hierin behilflich sein.«
»Ganz gut.«
»Es ist möglich, dass euch Indianer oder Streifzüge der Feinde etwas anhaben wollen. Ihr verweiset sie dann nur auf die Bedingungen der Übergabe, und drohet ihnen, die Sache Montcalm zu berichten. Ein Wort wird genügen.«
»Wo nicht, so hab’ ich hier etwas, das seine Wirkung tut«, versetzte David, mit einer Miene frommer Zuversicht nach seinem Buche greifend. »Hier stehen Worte, welche, mit gehörigem Nachdruck und im richtigen Zeitmaße gesprochen oder vielmehr gedonnert, den unbändigsten Sinn zähmen müssen: ›Warum toben die Heiden so wütend?‹ «
»Genug!«, sprach Heyward, seine musikalische Standrede unterbrechend; »wir verstehen einander; es ist Zeit, dass jeder von uns seiner Pflicht nachgehe.«
Gamut stimmte ein, und sie suchten die beiden Schwestern auf. Cora empfing ihren neuen, etwas sonderbaren Beschützer wenigstens mit Artigkeit; und selbst Alices blasse Gesichtszüge überschlich wieder ein Zug ihrer angeborenen Schalkhaftigkeit, als sie Heyward für seine Fürsorge dankte. Duncan versicherte ihnen, er habe so viel getan, als die Umstände erlaubten, und, wie er glaube, genug für ihre Sicherheit, da keine wirkliche Gefahr vorhanden sei. Er sprach dann heiter von seinem Plane, einige Meilen vom Hudson wieder mit ihnen zusammenzutreffen, sobald er die Vorhut bis an den Fluss geführt, und nahm alsbald Abschied.
Das Zeichen zum Abmarsch war indessen gegeben worden, und die englische Kolonne bereits in Bewegung. Die Schwestern erschraken bei dem Trommelschlag, und um sich blickend, wurden sie die weißen Uniformen der französischen Grenadiere gewahr, welche die Tore des Forts bereits in Besitz genommen hatten. In diesem Augenblicke schien plötzlich eine ungeheure Wolke an ihren Häuptern vorüberzuziehen, und emporschauend erblickten sie über sich die weiten Falten der Standarte von Frankreich.
»Lasst uns gehen!«, sprach Cora; »dies ist kein schicklicher Aufenthalt mehr für die Kinder eines englischen Offiziers.«
Alice hing sich an den Arm ihrer Schwester, und zusammen verließen sie den Paradeplatz, umringt von der sich langsam fortbewegenden Menge. Als sie durch den Torweg gingen, verbeugten sich die französischen Offiziere, welche ihren Rang erfahren hatten, oft und tief, enthielten sich aber weiterer Aufmerksamkeiten, die, wie ein feiner Takt ihnen sagte, nicht an der Stelle sein konnten. Da alle Wagen und Lasttiere für Kranke und Verwundete in Anspruch genommen waren, so hatte Cora beschlossen, mit ihrer Schwester lieber die Beschwerden eines Fußmarsches zu teilen, als jener Bequemlichkeit zu verkürzen. Wirklich musste mancher verstümmelte und schwache Soldat, weil es in diesen Wildnissen an den nötigen Beförderungsmitteln fehlte, seine erschöpften Glieder hinter den Kolonnen herschleppen. Alles war jedoch in Bewegung: Die Schwachen und Verwundeten stöhnend und leidend, ihre Kameraden still und verdrießlich, und die Weiber und Kinder von Schrecken ergriffen, ohne zu wissen warum.
Als der verworrene, schüchterne Haufe die schützenden Wälle des Forts verließ und auf die offene Ebene gelangte, stellte sich mit einem Male die ganze Szene vor Augen. In einiger Entfernung zur Rechten und etwas nach hinten stand das französische Heer unter den Waffen, da Montcalm alle seine Truppen zusammengezogen hatte, sobald seine Wachen Besitz von den Festungswerken genommen. Sie waren aufmerksame, aber schweigende Beobachter der Bewegungen der Besiegten, keine der stipulierten militärischen Ehren versäumend, und im Bewusstsein ihres Sieges ohne allen Hohn oder Spott gegen ihre minder glücklichen Feinde. Kriegerische Scharen der Engländer, im ganzen beinahe dreitausend Mann stark, zogen langsam über die Ebene zu dem gemeinschaftlichen Zentrum heran und näherten sich einander allmählich, der Richtung ihres Marsches zueilend, einem durch den hohen Wald gehauenen Wege, der die Straße nach dem Hudson bildete. Um den gedehnten Saum der Wälder hing eine
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