Der letzte Mohikaner: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
die tiefste Bewegung verkündigten, schaute er auf die Gräuelszenen um ihn her, und mit dem stärksten und bittersten Verwünschungen gab er seinen Abscheu vor den Untaten der Feinde zu erkennen.
Der Leser wird in den beschriebenen Personen alsbald die Mohikaner und ihren weißen Freund nebst Munro und Heyward erkannt haben. Es war wirklich der Vater, der seine Kinder suchte, begleitet von dem jungen Manne, der so innigen Anteil an ihrem Schicksale nahm, und von den wackeren und zuverlässigen Waldbewohnern, welche schon in so gefahrvollen Begegnissen Beweise ihres Geschicks und ihrer Treue gegeben hatten.
Als Uncas, welcher voranging, die Mitte der Ebene erreicht hatte, stieß er einen Schrei aus, der sogleich die Gefährten an seine Seite rief. Der junge Krieger stand vor einer Gruppe von Weibern, welche, eine verworrene Masse von Leichen, beisammen lagen. So abschreckend auch die Aufgabe war, so eilten gleichwohl Munro und Heyward auf den Haufen zu und suchten mit einem Eifer, den keinerlei Scheu mindern konnte, nach Spuren der Vermissten unter den zerstreuten und bunten Gewändern, die umherlagen. Der Vater und der Liebende fanden in dem Ergebnis ihrer Nachforschung augenblickliche Erleichterung, obgleich sie sich wieder aufs Neue zu den Qualen einer Ungewissheit verurteilt sahen, die fast eben so peinigend als die schreckhafteste Überzeugung ist. In nachdenkliches Stillschweigen versunken standen sie vor den Toten, als der Kundschafter herbeikam. Die klägliche Szene mit Entrüstung betrachtend, sprach der derbe Waldbewohner zum ersten Male, seit sie die Ebene betraten, laut und verständlich:
»Ich habe mehr als ein grauenvolles Schlachtfeld gesehen und die Spuren des Blutes oft manche ermüdende Meile weit verfolgt, aber nie habe ich die Hand des Teufels so sichtbar im Spiele gefunden als hier! Rache ist ein Gefühl des Indianers, und alle, die mich kennen, wissen, dass kein Tropfen ihres Blutes in meinen Adern rinnt; aber so viel will ich sagen – hier, im Angesicht des Himmels, und vor dem Allgewaltigen, der in der heulenden Wildnis seine Macht so laut verkündet – wenn diese Franzosen mir wieder in Schussweite kommen, so gibt es eine Büchse, die ihre Schuldigkeit tut, so lange der Stein noch Feuer gibt und das Pulver zündet! Den Tomahawk und das Messer überlasse ich denen, die von der Natur angewiesen sind, sie zu führen. – Was sagst du dazu, Chingachgook?«, fuhr er in delawarischer Sprache fort, »sollen die Huronen sich dessen gegen ihre Weiber rühmen, wenn der tiefe Schnee fällt?«
Ein Rachestrahl blitzte über die finsteren Züge des Mohikaner-Häuptlings, er lockerte sein Messer in der Scheide, wandte aber sein Auge von dem Anblick wieder ab, und sein Gesicht wurde so ruhig, als wäre ihm jede Leidenschaft fremd.
»Montcalm! Montcalm!« fuhr der tief entrüstete Kundschafter fort, der sich weniger Zwang auferlegte; »man sagt, es komme eine Zeit, wo man alle seine Handlungen auf Erden mit einem Blicke überschaue, und zwar mit Augen, die von menschlicher Schwäche gereinigt sind! Wehe dann dem Elenden, der geboren ist, um Rechenschaft von dem abzulegen, was sich auf der Ebene hier begeben hat. Ha – ich bin ein Mann von weißem Blut, aber dort liegt eine Rothaut, der man den Schopf abgezogen hat. Sieh nach ihm, Delaware, es ist vielleicht einer von eurem Volk, den ihr vermisst! Und der sollte ein Begräbnis haben, wie’s ein wackerer Krieger verdient. Ich les’ es in deinen Augen, Sagamore: Ein Hurone zahlt dafür, eh’ noch die Winde von den Wasserfällen den Geruch seines Blutes weggeweht!«
Chingachgook nahte sich dem Verstümmelten, und ihn umkehrend, gewahrte er die unterscheidenden Zeichen eines aus den sechs verbündeten Stämmen oder Nationen, wie man sie nannte, die, obgleich sie in den Reihen der Engländer fochten, Todfeinde seines Volkes waren. Den unwillkommenen Gegenstand verächtlich mit dem Fuße zurückstoßend, wandte er sich mit derselben Gleichgültigkeit ab, als ob es die Überreste eines Tieres gewesen wären. Der Kundschafter begriff die Meinung des anderen wohl und verfolgte bedächtlich seinen Weg, während er fortfuhr, seine rachedürstenden Verwünschungen gegen den französischen Heerführer auszustoßen.
»Nur der tiefsten Weisheit und schrankenloser Macht sollte es zustehen, so viele Menschen auf einmal wegzuraffen«, sprach er; »denn der Ersten nur kommt es zu, die Zeit des Gerichts zu bestimmen, und wer will sich der Zweiten vergleichen, die
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