Der letzte Mohikaner: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

verliehen hatte. So zu dem Besuche bei seiner Geliebten vorbereitet, nahm er hastig Abschied von seinem Begleiter und verschwand durch den bezeichneten Gang. Der Kundschafter sah sein Weggehen mit Wohlgefallen, nickte freundlich mit dem Kopfe und murmelte seine besten Wünsche, worauf er mit aller Kaltblütigkeit die Speisekammer der Huronen untersuchte, da die Höhle unter anderem dazu diente, den Ertrag der Jagden aufzubewahren.
    Duncan hatte keinen anderen Führer als ein entferntes flimmerndes Licht, das dem Liebenden jedoch den Dienst des Polarsterns vertrat und ihm in den Hafen seiner Hoffnungen einlaufen half. Dieser war nur eine andere Abteilung der Höhle, einzig zum Gewahrsam einer so wichtigen Gefangenen wie der Tochter des Kommandanten von William Henry instand gesetzt. Der Raum war voll von zerstreuter Beute aus der unglücklichen Festung. Mitten unter diesem Chaos fand er sie, die er suchte, klein, ängstlich, erschrocken, aber immer lieblich. David hatte sie auf einen solchen Besuch vorbereitet.
    »Duncan!«, rief sie mit einer Stimme, die über ihrem eigenen Klange zu zittern schien.
    »Alice!«, antwortete er, sorglos über Koffer, Kistchen, Waffen und Hausgeräte hinwegspringend, bis er an ihrer Seite stand.
    »Ich wusste, dass Sie mich nie verlassen würden«, sprach sie, zu ihm aufblickend, während eine flüchtige Röte über ihr bekümmertes Antlitz lief. »Aber Sie sind allein! So dankenswert es ist, in solchem Andenken zu stehen, so wünschte ich doch, Sie wären nicht ganz allein.«
    Duncan, welcher sah, dass sie zitterte und nicht länger imstande war, aufrecht zu bleiben, nötigte sie sanft zum Sitzen und erzählte ihr die Hauptbegebnisse, die wir bereits zu schildern hatten. Alice horchte mit atemloser Aufmerksamkeit, und obgleich der junge Mann die Sorge des niedergebeugten Vaters nur leicht erwähnte, doch immer so, dass er die Selbstschätzung seiner Zuhörerin nicht verletzte, so rannen doch die Tränen so reichlich über die Wangen der Tochter, als ob sie noch nie zuvor geweint hätte. Die besänftigende Zärtlichkeit Duncans stillte jedoch bald den ersten Ausbruch ihres Schmerzes, und sie hörte ihm mit ungeteilter Aufmerksamkeit, wenn nicht mit Fassung zu, bis er mit seiner Erzählung zu Ende war.
    »Und jetzt, Alice«, fügte er hinzu, »werden Sie sehen, wie viel wir noch von Ihnen erwarten müssen. Mit Hilfe unseres erfahrenen und unschätzbaren Freundes, des Kundschafters, könnte es möglich werden, den Händen dieses wilden Volkes zu entkommen. Sie werden aber alle ihre Seelenstärke aufbieten müssen: Bedenken Sie, dass Sie den Armen Ihres ehrwürdigen Vaters zueilen, und wie sehr sein und Ihr Glück von Ihren Anstrengungen abhängt.«
    »Kann ich anders für einen Vater handeln, der so viel für mich getan hat?«
    »Und auch für mich«, fiel der Jüngling ein, ihre Hand, die er zwischen der seinigen hielt, sanft drückend.
    Der Blick der Unschuld und Überraschung, der aus ihrem Auge auf Heyward fiel, sagte diesem, dass er sich deutlicher erklären müsse.
    »Hier ist weder Ort noch Zeit, Sie mit selbstsüchtigen Wünschen bekannt zu machen«, fügte er hinzu, »aber welches Herz, so gepresst, wie das meinige, sollte nicht wünschen, seine Bürde abzuwerfen? Unglück, sagte man, sei das mächtigste aller Bande; was wir gemeinschaftlich um Ihretwillen erduldet haben, ließ nur wenig zwischen Ihrem Vater und mir dunkel.«
    »Und meine teuerste Cora, Duncan; gewiss ist Cora nicht vergessen worden?«
    »Nicht vergessen! Nein, sie ist bemitleidet, betrauert worden, wie selten ein Mädchen zuvor. Ihr ehrwürdiger Vater kannte keinen Unterschied zwischen seinen Kindern; aber ich – Alice, Sie werden mir vergeben, wenn ich sage, dass für mich ihr Wert in etwas verdunkelt –«
    »Dann haben Sie den Wert meiner Schwester nicht kennen gelernt«, sprach Alice, ihre Hand zurückziehend, »sie spricht immer von Ihnen, als von ihrem teuersten Freunde.«
    »Mit Freude darf ich sie dafür halten«, versetzte Duncan hastig, »ich wünschte, sie wäre es mir in noch höherem Grade; aber mit Ihnen, Alice, darf ich nach Ihres Vaters Erlaubnis noch auf ein näheres, teureres Band hoffen.«
    Alice zitterte heftig und wandte ihr Gesicht einen Augenblick beiseite, einer ihrem Geschlechte so natürlichen Empfindung nachgebend: Doch bald schwand dieser Eindruck und sie war wieder Herrin ihrer Fassung, wenn nicht ihrer Gefühle.
    »Heyward«, sprach sie, ihn mit einem rührenden Ausdruck von