Der letzte Mohikaner: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Minuten der jetzt so kostbaren Zeit weggenommen. Nach dem letzten Blicke auf Uncas wandte sich Cora mit bebender Lippe zu Heyward:
»Ich habe Ihre Fertigkeit im Schwimmen rühmen hören, Duncan«, sprach sie; »folgen Sie dem Vorgang dieser einfachen, getreuen Wesen!«
»Ist das die Treue, welche Cora Munro von ihrem Beschützer fordert?«, fragte der junge Mann mit traurigem, aber bitterem Lächeln.
»Es ist jetzt keine Zeit für eitle Spitzfindigkeiten und falsche Meinungen«, antwortete sie, »sondern ein Augenblick, wo jede Pflicht gleich erwogen werden sollte. Für uns können Sie jetzt von keinem weiteren Nutzen sein, während Ihr kostbares Leben noch für andere und nähere Freunde gerettet werden kann.«
Er antwortete nicht, aber seine Augen fielen ernst auf die schöne Gestalt Alicens, welche mit kindlicher Hingebung an seinem Arm hing.
»Bedenken Sie«, fuhr Cora fort, nach einer Pause, während welcher sie mit einem Schmerze zu kämpfen schien, noch bitterer als derjenige, der in ihrer Furcht seinen Grund hatte, »dass das Schlimmste, was wir erleiden können, der Tod ist, ein Zoll, den wir alle entrichten müssen, wenn Gott ihn von uns fordert.«
»Es gibt Übel, welche schlimmer sind als der Tod«, entgegnete Duncan, unwillig über ihre Zumutung, »die aber die Gegenwart eines, der für Sie zu sterben bereit ist, abwenden kann.«
Cora drang nicht weiter in ihn, sie verhüllte ihr Gesicht mit ihrem Schal und zog die fast besinnungslose Alice hinter sich her in den tiefsten Winkel der inneren Höhle.
9
– Sei heiter, Holde,
Zerstreu’ mit Lächeln du des Kummers Wolk’,
Die über deiner offnen Stirne hängt.
THOMAS GRAY
Die plötzliche, fast zauberhafte Umwandlung der wilden Szenen des Kampfes in die Stille, welche rings um ihn herrschte, wirkte auf die erhitzte Einbildungskraft Heywards wie ein fieberhafter Traum. Obwohl alle Bilder und Vorfälle, von denen er Zeuge gewesen war, sich seinem Gedächtnisse tief eingeprägt hatten, fiel es ihm doch schwer, sich von ihrer Wirklichkeit zu überzeugen. Ungewiss über das Schicksal derer, die sich der reißenden Strömung anvertraut hatten, lauschte er anfangs auf jedes Zeichen, jeden Laut, der den guten oder schlechten Erfolg ihres gewagten Unternehmens verkünden würde. Aber er lauschte vergeblich: Mit Uncas war jede Spur von den Abenteurern verschwunden, und er blieb in gänzlicher Ungewissheit über ihr Schicksal.
In diesem Augenblicke quälenden Zweifels zögerte Duncan nicht lange, um sich zu blicken, ohne innerhalb des schützenden Felsen zu bleiben, was kaum noch für seine Sicherheit so notwendig geschienen hatte. Jede Anstrengung jedoch, irgendeine Spur der Annäherung ihrer verborgenen Feinde zu entdecken, blieb ebenso fruchtlos als die Nachforschung nach seinen früheren Begleitern. Die bewaldeten Ufer des Flusses schienen wieder von allem verlassen, was Leben atmete. Der Aufruhr, welcher eben noch durch die Laubgewölbe des Waldes widerhallte, war vorüber, und das Rauschen der Wasser, durch den Luftzug verstärkt oder gemindert, ertönte in unvermischter natürlicher Lieblichkeit. Ein Fischadler, welcher auf dem obersten Zweige einer abgestorbenen Fichte ein entfernter Zuschauer des Kampfes gewesen war, schoss jetzt von seinem hohen, rauen Sitz herab und schwebte in weiten Kreisen über seiner Beute, während ein Eichelhäher, dessen kreischende Stimme durch das noch heisere Geschrei der Wilden übertönt worden war, wieder seine unharmonische Kehle zu öffnen wagte, als wäre er von neuem im ungestörten Besitze seines öden Waldgebiets. Duncan schöpfte aus dieser natürlichen Begleitung der Einsamkeit wieder einige Hoffnung und begann alle seine Geisteskraft zu neuen Anstrengungen aufzubieten, mit neuerwachendem Vertrauen auf Erfolg.
»Die Huronen lassen sich nicht sehen«, sprach er zu David, der sich von den Wirkungen des betäubenden Schusses noch nicht ganz erholt hatte, »wir wollen uns in der Höhle verbergen und das Übrige der Vorsehung überlassen.«
»Ich erinnere mich«, versetzte der verwirrte Singmeister, »dass ich mit zwei holdseligen Mädchen mich vereinigte, um unsere Stimmen zu Dank und Preis zu erheben; seitdem bin ich von einem schweren Gericht für meine Sünden heimgesucht worden. Es war mir, als läge ich im Schlaf und Misstöne zerrissen mein Ohr, als ob die letzte Zeit erfüllt wäre und die Natur ihrer Harmonie vergessen hätte.«
»Armer Mensch! Deine eigene Zeit war beinahe selbst abgelaufen! Aber
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