Der letzte Polizist: Roman (German Edition)
meiner Brust ist eine Beklemmung, aber es fühlt sich gut an zu laufen, draußen zu sein.
Okay. Ich könnte vergessen haben, eine der Ketten festzuzurren, klar, das sähe ich ja noch ein. Ich hab’s eilig, ich bin nervös. Vielleicht habe ich eine nicht richtig festgezogen. Aber alle vier?
Als ich nach Hause komme, werfe ich einen Blick auf mein Handy und stelle fest, dass ich zwei Empfangsbalken habe und dass mir ein Anruf von Sophia Littlejohn entgangen ist.
»O nein «, murmle ich und drücke auf die Taste, um die Nachricht abzuspielen. Ich war eine Dreiviertelstunde weg, vielleicht eine Stunde, und es war das erste Mal in dieser Woche, dass ich mein Handy ausgeschaltet habe, das erste Mal, seit ich Peter Zells Leichnam in der Toilette des Piraten-McDonald’s erblickt habe.
»Tut mir leid, dass ich erst so spät zurückrufe«, sagt Ms. Littlejohn auf der Mailbox mit neutraler, ruhiger Stimme. Ich klemme mir das Handy zwischen Schulter und Ohr, schlage ein blaues Buch auf und drücke die Mine eines Kulis raus. »Aber ich weiß wirklich nicht, was ich Ihnen sagen kann.«
Und dann legt sie einfach los, eine vierminütige Nachricht, in der sie nur wiederholt, was ihr Mann mir am Mittwochmorgen bei ihnen zu Hause erzählt hat. Sie und ihr Bruder haben sich nie nahegestanden. Seine Reaktion auf den Asteroiden war schrecklich, er hat sich noch mehr zurückgezogen und abgesondert als sonst. Sie ist offensichtlich enttäuscht, dass er beschlossen hat, sich umzubringen, aber nicht überrascht.
»Also, Detective«, sagt sie, »ich danke Ihnen für Ihren Einsatz, für Ihr Interesse.« Sie verstummt, und ein paar Sekunden lang ist es still, ich denke schon, die Nachricht ist zu Ende, aber dann höre ich ein Murmeln, ein bestärkendes Flüstern hinter ihr – Erik, der gut aussehende Ehemann –, und sie sagt: »Er war kein glücklicher Mensch, Officer. Ich möchte, dass Sie wissen, dass er mir nicht gleichgültig war. Er war ein trauriger Mann, und dann hat er sich umgebracht. Bitte rufen Sie mich nicht mehr an.«
Piep. Ende der Nachricht.
Ich sitze da und trommle mit den Fingern auf die verzogenen Fliesen meines Küchentresens, während der warme Joggerschweiß auf meiner Stirn trocknet und kalt wird. In ihrer Nachricht hat Sophia Littlejohn nichts von dem abgebrochenen Abschiedsbrief gesagt, falls es einer war – Liebe Sophia . Aber ich hatte ihrem Mann davon erzählt, und man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass er es ihr erzählt hat.
Ich rufe sie übers Festnetz zurück. Zu Hause, dann auf ihrem Handy, dann bei der Arbeit und schließlich wieder zu Hause.
Vielleicht geht sie nicht dran, weil sie die Nummer nicht kennt. Also probiere ich es noch mal mit meinem Handy, aber mitten im zweiten Anruf verliere ich alle Balken, kein Signal, totes Plastik, und ich schleudere das blöde Ding durchs Zimmer.
Man kann es nicht in den Augen der Leute sehen, nicht bei diesem Wetter: die Wollmützen tief in die Stirn gezogen, den Kopf gesenkt, den Blick auf den von Schneematsch bedeckten Bürgersteig gerichtet. Aber man liest es in ihrem Gang, in diesem erschöpften, müden Schlurfen. Man erkennt diejenigen, die es nicht schaffen werden. Da ist ein Selbstmord. Dort noch einer. Dieser Mann wird nicht durchhalten. Diese Frau, die mit dem hocherhobenen Kopf und dem gereckten Kinn. Sie wird sich nicht unterkriegen lassen, sondern ihr Bestes tun, wird zu jemandem oder etwas beten, bis zum Ende.
An der Wand des ehemaligen Bürogebäudes das Graffito: LÜGEN LÜGEN ALLES LÜGEN .
Auf dem Weg zum Somerset, zum einsamen samstäglichen Abendessen eines Junggesellen, mache ich einen kleinen Umweg zum McDonald’s an der Main Street. Ich betrachte den leeren Parkplatz, den Strom der Fußgänger, die hineingehen und mit ihren dampfenden Papiertüten wieder herauskommen. An der Seite des Gebäudes steht ein überquellender schwarzer Abfallcontainer, der den Nebeneingang halb verbirgt. Ich bleibe eine Sekunde stehen und stelle mir vor, ich wäre ein Mörder. Ich habe meinen Wagen dabei – er fährt mit pflanzlichem Abfallöl, oder ich habe irgendwo eine halbe Tankfüllung organisiert.
Im Kofferraum liegt eine Leiche.
Ich warte geduldig, bis es Mitternacht ist, Mitternacht oder eins. Lange nach dem abendlichen Ansturm, aber bevor die Flut der nächtlichen Gäste aus den mittlerweile geschlossenen Bars aufläuft. Der Laden ist so gut wie leer.
Ich schaue mich auf dem matt erleuchteten Parkplatz um, öffne beiläufig den Kofferraum
Weitere Kostenlose Bücher