Der letzte Polizist: Roman (German Edition)
Hallo?«
Ich hebe beide Hände über den Kopf und winke, denn da kommt jemand, den ich kenne. Es ist die taffe Reservistin, die den Bunker bewacht hat, als ich herkam, um mit Derek zu sprechen, die Frau in Tarnkleidung, die gleichmütig im Flur gewartet hat, während ich etwas Sinnvolles aus ihm herauszuholen versuchte.
»Hey«, sage ich. »Ich möchte zu dem Häftling.«
Sie kommt direkt auf uns zu, dorthin, wo ich stehe, halb im Wagen, halb draußen, das Getriebe in Parkstellung, der Wagen in verwegenem Winkel mit laufendem Motor bei dem Wachhaus an der Einfahrt stehend. »Entschuldigen Sie? Hi. Ich muss noch mal mit dem Häftling sprechen. Tut mir leid, ich habe keinen Termin. Es ist dringend. Ich bin Polizist.«
»Mit was für einem Häftling?«
»Ich bin Detective.« Ich halte inne, hole Luft. »Was haben Sie gesagt?«
Sie muss gewusst haben, dass ich hier bin, muss auf einem Monitor gesehen haben, wie der Wagen vorgefahren ist, und zum Tor gekommen sein. Der Gedanke ist seltsam beunruhigend.
»Ich sagte: Mit was für einem Häftling?«
Ich verstumme, schaue von der Reservistin zu dem Torwächter im Wachhaus. Sie stehen da und starren mich an, beide mit den Händen an den Kolben der umgehängten Maschinengewehre. Was ist hier los? , denke ich. Nico ist nicht hier. Nirgendwo Sirenen, kein hektischer Alarm. Nur das ferne Rattern eines Rotors; irgendwo in der Nähe, irgendwo auf diesem weitläufigen Gelände, startet oder landet gerade ein Hubschrauber.
»Der Junge. Der Häftling. Der Junge, der hier war, der mit den albernen Dreadlocks, der in …« Ich mache eine vage Handbewegung in Richtung Bunker. »In der Zelle dort.«
»Keine Ahnung, von wem Sie sprechen«, antwortet die Gardistin.
»Doch, das wissen Sie.« Ich starre sie dumpf an. »Sie waren dort.«
Ohne den Blick von mir zu wenden, hebt die Soldatin ihr Maschinengewehr langsam auf Hüfthöhe. Der zweite Soldat, der Torwächter, hebt ebenfalls sein AK -47, und jetzt sind es zwei Soldaten, deren Waffen nach oben zeigen; die Kolben sind in ihre Taille gestützt, die Läufe mitten auf meine Brust gerichtet. Und es spielt keine Rolle, dass ich ein Cop bin und dass sie Soldaten der Vereinigten Staaten sind, dass wir alle Friedenswächter sind, nichts auf der Welt würde diese beiden davon abhalten, mich zu erschießen.
»Hier war kein junger Mann.«
Kaum sitze ich wieder im Wagen, klingelt das Handy, und ich krieche hektisch auf dem Rücksitz herum, bis ich es finde.
»Nico? Hallo?«
»Hey, hey, immer mit der Ruhe. Ich bin’s, Culverson.«
»Oh.« Ich atme durch. »Detective.«
»Hör mal, du hast doch eine junge Frau namens Naomi Eddes erwähnt. Von deiner Hänger-Ermittlung?«
Mein Herz zuckt und hüpft in der Brust, zappelt wie ein Fisch an der Leine.
»Ja?«
»McConnell hat sie gerade gefunden, oben im Water West Building. In den Büroräumen dieser Versicherung.«
»Was soll das heißen, McConnell hat sie gefunden?«
»Das heißt, sie ist tot. Willst du herkommen und es dir ansehen?«
VIERTER TEIL
Bald werden sie’es müssen
Mittwoch, 28. März
Rektaszension 19 12 57,9
Deklination -34 40 37
Elongation 83,7
Delta 2,999 AE
1
Im Augenblick kann ich nichts Besseres tun, als mich in diesem vollgestopften, engen Abstellraum mit der niedrigen Kassettendecke und den drei Reihen langer Aktenschränke aus grauem Stahl auf die Fakten zu konzentrieren. Schließlich ist das die angemessene Rolle für den jungen Detective, den sein älterer Kollege aus Höflichkeit zum Tatort gerufen hat.
Das ist nicht mein Mord, es ist Detective Culversons Mord, und deshalb mache ich nichts anderes, als an der Tür des matt erleuchteten Raumes herumzustehen und darauf zu achten, dass ich ihm und Officer McConnell nicht in die Quere komme. Es war meine Zeugin, aber es ist nicht meine Leiche.
Also – das Opfer ist weiß, weiblich, Mitte zwanzig, es trägt einen braunen Wollrock mit Hahnentrittmuster, hel lbraune Pumps, schwarze Strümpfe und eine frisch gebügelte weiße Bluse mit hochgekrempelten Ärmeln. Das Opfer weist eine Reihe charakteristischer körperlicher Merkmale auf. Um jedes Handgelenk windet sich ein Kranz von Art-déco-Rosen-Tattoos; in den Rändern beider Ohren sind mehrere Piercings, und in einem Nasenflügel steckt ein kleiner goldener Knopf; der Schädel ist rasiert, mit einem hellblonden, gerade nachwachsenden Flaum. Die Leiche ist in der nordöstlichen Ecke des Raumes zu Boden gesackt. Es gibt keine Anzeichen für einen sexuellen
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