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Der letzte Polizist: Roman (German Edition)

Der letzte Polizist: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Polizist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Winters
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die Tür auf.
    Der alte Wachmann ist nicht da. Ich nehme die Treppe in den zweiten Stock, und an der Rezeption rufe ich nicht höflich Hallo, sondern gehe einfach rein und finde Mr. Gompers hinter seinem Walnuss-Schreibtisch.
    »Oh«, sagt er überrascht und erhebt sich halb, auf wackligen Beinen, um mich von oben bis unten zu betrachten. »Ich, äh, ich habe gestern schon alles mit dem anderen Gentleman durchgesprochen. Wegen der armen Naomi.«
    »Ja«, sage ich. Er ist vom Wasserglas zu einem Halbliterglas Gin fortgeschritten. »Aber nicht alles.«
    »Wie bitte?«
    Mir ist innerlich kalt, als hätte man mir die Organe entfernt, sie einzeln in Schlamm gewälzt und wieder in mich hineingestopft. Ich lasse die Hände auf Gompers’ Schreibtisch krachen und beuge mich vor; er lehnt sich nach hinten, sein fleischiges Gesicht weicht vor meinem zornigen Blick zurück. Ich weiß, wie ich aussehe. Unrasiert, ausgezehrt, ein unregelmäßiger Kranz brauner, aufgequollener Blutergüsse um das saubere Weiß des Mulls über dem toten Auge.
    »Bei unserem Gespräch letzte Woche haben Sie mir erzählt, die Muttergesellschaft in Omaha sei davon besessen, Betrügereien zu verhindern.«
    »Was? Davon weiß ich nichts«, nuschelt er.
    » Na schön … hier.« Ich werfe ihm das dünne blaue Buch auf den Schreibtisch, und er zuckt zusammen. »Lesen Sie.«
    Gompers rührt sich nicht, also sage ich ihm, was drinsteht. »Sie haben behauptet, Ihr Unternehmen interessiere sich nur für die Sicherung der Gewinne. Sie sagten, der Vorstandsvorsitzende glaube, er könne sich den Weg in den Himmel erkaufen. Aber gestern haben Sie Detective Culverson erzählt, es gäbe keine Duplikate dieser Akten.«
    »Ja, wir sind dazu übergegangen, nur noch mit Papier zu arbeiten, wissen Sie«, nuschelt er. »Die Server …« Er sieht nicht mich an, er betrachtet ein Foto auf seinem Schreibtisch: die Tochter, die nach New Orleans gegangen ist.
    »Sie haben sämtliche Mitarbeiter darauf angesetzt, diese Ansprüche mehrfach zu überprüfen, es gibt kein Computer-Backup, und Sie wollen mir erzählen, dass keine Kopien angefertigt werden? Dass nirgends Duplikate aufbewahrt werden?«
    »Nun ja. Ich meine …« Gompers schaut aus dem Fenster, sieht dann wieder mich an und stählt sich für einen weiteren Versuch. »Nein, tut mir leid, es …«
    Ich reiße ihm das Glas aus der Hand, schleudere es gegen die Fensterscheibe, und es zerbricht; Eis, Gin und Glassplitter regnen auf den Teppich. Gompers starrt mich mit offenem Mund an, wie ein Fisch. Ich sehe Naomi vor mir – sie wollte nur eine perfekte Villanella schreiben –, sehe, wie sie diesem Mann neue Schnapsflaschen aus dem Eckladen holt, und dann packe ich ihn am Revers und zerre ihn aus seinem Sessel und auf den Schreibtisch, sein wabbeliger Hals zittert unter dem Druck meiner Daumen.
    »Haben Sie den Verstand verloren?«
    »Wo sind die Kopien?«
    »Boston. Im Regionalbüro. State Street.« Ich lockere meinen Griff ein ganz kleines bisschen. »Jeden Abend kopieren wir alles und schicken es über Nacht dorthin. Sie bewahren die Nachtpost in Boston auf.« Er wiederholt die Worte, flehend, jämmerlich. »Die Nachtpost … okay …«
    Ich lasse ihn los, und er sackt auf seinen Schreibtisch und rutscht kläglich in seinen Sessel zurück.
    »Hören Sie, Officer …«, sagt er, und ich unterbreche ihn.
    »Ich bin Detective.«
    »Detective. Variegated schließt eine Filiale nach der anderen. Sie suchen nach Gründen. Stamford. Montpelier. Wenn das hier passiert, weiß ich nicht, was ich tun werde. Wir haben keine Ersparnisse. Meine Frau und ich, meine ich.« Seine Stimme zittert. »Wir werden es nicht schaffen.«
    Ich starre ihn an.
    »Wenn ich Boston anrufe und denen sage, dass ich die Nachtpost sehen muss, und die fragen, warum, und ich …« Er holt Luft, versucht, sich am Riemen zu reißen, ich starre ihn nur an. »Ich sage, herrje, mir fehlen Akten, ich habe – ich habe tote Mitarbeiter.« Er schaut mit nassen, großen Augen zu mir hoch, flehend wie ein Kind. »Lassen Sie mich einfach hier sitzen. Lassen Sie mich hier sitzen, bis das Ende kommt. Bitte lassen Sie mich einfach hier sitzen.«
    Er weint, sein Gesicht löst sich in seinen Händen auf. Es ist ermüdend. Die Leute verstecken sich hinter dem Asteroiden, als wäre er eine Entschuldigung für schlechtes Benehmen, für erbärmliches, verzweifeltes und egoistisches Verhalten, jedermann drückt sich in seinen Kometenschweif wie Kinder in Muttis Röcke.
    »Tut

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