Der letzte Regent: Roman (German Edition)
den Kopf. »Dieses Ding macht mich viel zu langsam.« Er deutete auf die Spange.
»Schalten Sie den Demobilisierer vorübergehend aus, Chronist.«
»Aber …« Hinter Xavius kam ein dumpfes Grollen aus der Dunkelheit. Rasch holte er den Coder hervor, veränderte mit ihm die Justierung der Spange und ließ das kleine Gerät dann wieder in der Hosentasche verschwinden. »Beeilen wir uns«, sagte er mit einem argwöhnischen Blick über die Schulter.
Wenige Minuten später erreichten sie den Rand der Lichtung. Vor ihnen erstreckte sich ein offener Bereich, gesäumt von den viele Hundert Meter aufragenden dunklen Wänden des Waldes. Es war überraschend hell – hell genug, um die blaue Tönung des gewaltigen Monolithen zu erkennen, der sich in der Mitte der Lichtung dem Himmel entgegenreckte –, doch das Licht stammte nicht von einem Mond, sondern von zahlreichen Sternen am Himmel. Xavius erinnerte sich daran, dass der Sternhaufen, zu dem das Inskeep-System gehörte, etwa fünfzigtausend Sterne umfasste, mit einem mittleren Abstand von nicht einmal zwei Lichtjahren. Das Ergebnis war ein spektakulärer Lichterteppich am Himmel, hell genug, um selbst ohne funktionierende Schwarmokulare in den Augen Farben zu erkennen.
Hinter ihnen raschelte es im Dickicht neben dem Baumpfad, und das grollende Knurren wiederholte sich.
Pribylla führte sie einen Ast entlang, der einige Meter über den Rand der Lichtung ragte und dicht über dem Boden endete. Gras-Äquivalent wuchs dort, büschelartige Ansammlungen aus dünnen grünbraunen Halmen, zwischen ihnen hier und dort ein zitternder Verschlinger-Rezeptor.
Pribylla steckte den Navigator ein, um die linke Hand frei zu haben. In der rechten behielt sie den Pulser.
»Lauft, was ihr könnt«, sagte sie. »Zum Stein. Dort gibt es keine Verschlinger. Wir verschnaufen ein wenig, und dann kommt die zweite Etappe zum Waldrand auf der anderen Seite. Von dort aus sind es noch einmal drei Kilometer bis zum Midon. Habt ihr verstanden?«
Alle nickten.
»Tun Sie mir einen Gefallen, Konsul«, fügte Pribylla hinzu. »Nutzen Sie die gute Gelegenheit, und versuchen Sie zu fliehen. Dann kümmert sich der Wald um Sie, und wir sind Sie los.«
Sie trat zum Ende des Astes, orientierte sich kurz, sprang auf den Boden der Lichtung und lief. Laurania und Vandover folgten ihr, wobei der kahlköpfige Mann plötzlich eine erstaunliche Agilität zeigte.
Xavius sprang als Letzter und hatte erst wenige Meter zurückgelegt, als zwei Dinge geschahen.
Hinter ihm brach fauchend und knurrend ein Raptor aus dem Dickicht, und oben am Himmel, direkt über der Lichtung mit dem Monolithen, verdunkelte ein Kanonenboot des Enduriums das Licht der vielen Sterne.
35
Xavius lief, verfolgt von einem knurrenden Schatten, einem Geschöpf schwarz wie die Nacht – eine perfekte Tarnung für die ewig finsteren unteren Ebenen des Waldes, aber nicht für diese fast einen Kilometer durchmessende Lichtung, die den Schein Tausender dicht an dicht stehender Sterne empfing. Ein Schatten aus Muskeln, Krallen und spitzen Zähnen jagte an den Büscheln des Gras-Äquivalents vorbei, zerfetzte mit seinen Tatzen vibrierende Rezeptoren und holte so schnell zu Xavius auf, dass ihn fast eine Schrecklähmung befiel. Doch in diesen wenigen Sekunden, die über Leben und Tod entschieden, reagierte sein Instinkt, lenkte noch mehr Kraft in die Beine und veranlasste ihn, beim Laufen ganz bewusst einen der weißgrauen Stängel zu berühren. Gleichzeitig stieß er keuchend hervor: »Pribylla, schießen Sie!«
Aber sie schoss nicht, und er kannte auch den Grund dafür. Die Sensoren des Kanonenbootes weit oben über der Lichtung hätten die energetischen Emissionen der Waffe sofort bemerkt. Genauso gut hätte Pribylla ein riesiges, beleuchtetes Schild mit der Aufschrift »Wir sind hier!« heben können.
Vielleicht gab es so etwas wie lokale Synchronizität, zumindest unter den Verschlingern. Xavius hatte halb damit gerechnet und konnte dem Hindernis gerade noch mit einem Schwenk nach rechts ausweichen, als direkt vor ihm ein Schleimberg aus dem Boden wuchs. Für den Raptor hinter ihm – so nahe, dass Xavius glaubte, seinen heißen Atem im Nacken zu spüren – sah die Sache anders aus, denn er war gerade gesprungen und hatte keine Flügel, um seine Flugrichtung zu ändern, die ihn mit dem Außenmagen des Verschlingers kollidieren ließ.
Xavius hörte ein Knurren und Fauchen, dann schmatzende und gurgelnde Geräusche. Er drehte nicht den Kopf
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