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Der letzte Regent: Roman (German Edition)

Der letzte Regent: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Regent: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Stadt leisten. Eine ehrenvolle und wichtige Aufgabe, der Tabatha ihren nur langsam erkaltenden Intellekt widmete.
    Auf der anderen Seite der Stadt setzte ein Transporter zur Landung an, in ihm Hunderte von Vivi, die ihrem Tod entgegenfieberten wie Tabatha vor zwei Wochen. In wenigen Tagen würden sie tot sein und ein neues Leben als Morti beginnen.
    Tabatha wollte den Blick vom Fenster abwenden, als ihr etwas auffiel. Eine Bewegung am Rand der Stadt? Wie sollte das möglich sein? Seit der Zerstörung vor zweitausend Jahren gab es nur noch mikrobiologisches Leben auf der Erde, abgesehen von einigen Flechten und Moosen in den nicht ganz so stark kontaminierten arktischen und antarktischen Regionen. Dort draußen konnte sich nur Staub bewegen, vom Wind aufgewirbelt.
    Trotzdem schickte Tabatha M Belote eine Meldung ans Wachzentrum, bevor sie den Weg fortsetzte und kurz darauf den Saal des Schläfers erreichte. Um sie herum, in leise summenden Aggregaten und Maschinenwänden, steckte das geballte Wissen des Enduriums – die Geheimnisse des Regenten. Einige von ihnen würde sie erfahren, wenn man sie in die Phalanx integrierte; andere, die wichtigsten, blieben dem Regenten vorbehalten.
    Als sie vor dem Schläfer stehen blieb, erinnerte sich Tabatha an die Faszination, die sie beim ersten Besuch dieses Ortes empfunden hatte. Jetzt war sie nicht mehr annähernd so stark, was nicht nur an ihrem Tod lag, sondern auch daran, dass sie sich immer mehr an den Anblick gewöhnte. Ein Mensch, einst ein Mann, ruhte dort im Nährgel, seit zweitausend Jahren. Übrig geblieben waren nur Brustkorb, Hals, ein Arm und der Kopf, durch Kabel, sensorische Stränge und neuronale Brücken mit den lebenserhaltenden Anlagen und KI-Systemen der Stadt verbunden. Der »Tank« weiter hinten, ein mehr als zehn Meter langes Oval aus Synthium Neun, enthielt die anderen Überlebenden, sechsundzwanzig an der Zahl: die memorialen Reste von Männern und Frauen, körperlose Entitäten, die Lücken in ihren Bewusstseinssphären mit synthetischen Erinnerungen geschlossen.
    Tabatha wusste nicht, welchem Zweck der Schläfer diente, der seit zwanzig Jahrhunderten mit geschlossenen Augen dalag, viel mehr Maschine als Mensch, aber sie vermutete, dass es etwas mit dem größten aller Geheimnisse zu tun hatte, das unter allen Umständen geschützt werden musste und sich im »Schrein« befand, einem speziell gesicherten Raum unter der schwarzen Pyramide. Tabathas vorsichtige Fragen danach waren unbeantwortet geblieben, vielleicht deshalb, weil ihr niemand Antwort geben konnte – nur der Regent, gepriesen sei Er, wusste, was sich in jenem Raum befand.
    »Schläfer« nannte man die Reste des Mannes, aber er schlief nicht, jedenfalls nicht so, wie lebende Menschen schliefen, und manchmal auch die Toten. Tabatha beobachtete ihn in seinem durchsichtigen Behälter, einem Sarkophag aus Glas. Sie musste nicht mehr die Sensorflächen der Konsole berühren, um mit ihm zu sprechen, das hatte sie vor einigen Tagen herausgefunden. Mit der erweiterten Wahrnehmung als Mortus nahm sie ihn wie einen Schatten wahr, von den langsamen Lichtern konservierten Lebens durchzogen.
    Auf der anderen Seite des Saales der Sechsundzwanzig – beziehungsweise der Siebenundzwanzig – öffnete sich eine Tür. Rekar M Triolo, jung wie Tabatha, und ebenfalls vor zwei Wochen gestorben, trat ein und ging über den hohen Laufsteg. Auch er gehörte keiner der Sechsundzwanzig Familien an, und deshalb war der Wachdienst in der Stillen Stadt für ihn eine ebenso große Ehre wie für Tabatha. Sie wich einen Schritt vom Sarkophag zurück – es war nicht verboten, mit dem Schläfer zu sprechen, aber eigentlich blieben solche Kontakte den in die Phalanx integrierten Morti vorbehalten –, winkte Rekar zu und wartete, bis er durch die Tür am Ende des Laufstegs verschwand. Dann trat sie wieder an den Gel-Behälter heran und fragte: »Wie geht es dir?«
    Sie hatte ihren Vokalisator nicht aktiviert, und deshalb waren die Worte ein leises, raues Krächzen, das kein Vivus verstanden hätte. Aber der Mann im Gel hörte sie, mit den Ohren des Sarkophags, und verstand die Frage.
    Ich bin hier und höre dich.
    So stellte sich Tabatha die Kommunikation in der Phalanx vor: direkt und unmittelbar, über alle Entfernungen hinweg. Rekar hatte ihr gesagt, dass die Phalanx dedizierte Verschränker verwendete, mit denen man auf diese Weise über Lichtjahre hinweg sprechen konnte, und sie war neugierig darauf zu erfahren, ob

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