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Der letzte Regent: Roman (German Edition)

Der letzte Regent: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Regent: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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so schnell, dass er nicht einmal Gelegenheit erhielt zu staunen und verblüfft zu sein. Zwei Sekunden, vielleicht drei. Der Kollaps auf der Erde, der Angriff der Ayunn, dem die alte Heimat der Menschen zum Opfer gefallen war, die rekursive interstellare Translokation, der große Translokator unweit der Stillen Stadt, aus einem Synthium-Äquivalent geschaffen, der Tod, der Vivi in Morti verwandelte, die Phalanx, der Krieg, oh, hier war sie, die Antwort, die Erklärung für den zweitausend Jahre alten Konflikt, der Grund, warum die Ayunn immer wieder ins Endurium vorstießen.
    Das Licht flackerte. Mallory wurde müde und sehnte sich danach, die Augen zu schließen, die inneren Augen, sich der Finsternis zu ergeben.
    Plötzlich wusste er auch, was sich hinter ZORN verbarg. Es bedeutete nicht Zorn, sondern …
    Das Licht flackerte erneut, und dann gab es nur noch stille Dunkelheit.

All die Jahrmilliarden
    15
    Es kam kein Strahlblitz aus Lauranias Waffe, auch kein tödliches Projektil, was nach der Rettung absurd gewesen wäre. Der Lauf spuckte einen silbernen Pfeil, der plötzlich in Xavius’ Brust steckte. Es tat nicht weh, es juckte höchstens ein bisschen, aber plötzlich herrschte Stille in ihm, und damit einher ging etwas, das schlimmer war als Schmerz – er schrumpfte. Sein Selbst, sein Bewusstsein, das, was ihn als Individuum ausmachte … wurde kleiner. Oder vielleicht war es der Horizont der ihn umgebenden Welt, der auf ihn zukroch, nein, der ihm entgegen fiel , bis er den Eindruck gewann, die Grenzen des Universums berühren zu können, wenn er nur die Hand ausstreckte. Seine Gedanken wurden langsamer, schwammen wie in zähem Brei, aber einige von ihnen fanden zueinander und verknüpften sich zu einer Erkenntnis: Sein Schwarm war deaktiviert, vielleicht sogar eliminiert. Ohne die Mikromaschinen, die zu ihm gehörten wie Leber und Milz, fühlte er sich eines schützenden Panzers beraubt und nackt auf eine Weise, die ihn zutiefst verunsicherte. Er glaubte seine Seele entblößt, für alle sichtbar, mit all ihren Geheimnissen; er fühlte seine Erinnerungen offengelegt, die vielen Bilder in ihnen unsortiert, aber deutlich sichtbar für jeden, der wusste, wie und wonach es Ausschau zu halten galt. Und er konnte nicht mehr richtig sehen und hören; die Luft, die er atmete, schien plötzlich geruchlos zu sein; Mund und Hände waren wie taub. Außerdem … Der Chronass verschwand. Die beruhigende Präsenz, die Gewissheit, im eigenen Kopf nicht allein zu sein und in Ruhe denken und überlegen zu können, während ein anderer Teil von ihm die Chronistenarbeit erledigte, existierte nicht mehr. Er war allein in seinem Gehirn, sah wie durch ein dünnes Rohr, hörte und fühlte wie durch dicke Watte.
    Xavius blickte auf die dünne Nadel hinab, die jetzt – einige Sekunden waren verstrichen, vielleicht auch Minuten – nicht mehr so weit aus seiner Brust ragte wie zuvor. Etwas bewegte sich in ihr, das fühlte er nun, und er begriff, dass der Juckreiz von diesen Bewegungen ausging. Etwas kroch aus der Nadel, streckte winzige Tentakel aus, bohrte sie in sein Muskelgewebe und tastete nach Nervenbahnen, suchte mit langen Molekülketten nach den Ganglien, die auch den Mikromaschinen als Andockstellen dienten.
    »Wir haben Ihren Schwarm unter unsere Kontrolle gebracht«, sagte Laurania. Ihre Stimme hatte an Intensität und Klangfarbe verloren.
    »Laura …« Eine andere Stimme, dumpfer und dunkler, die eines Mannes. »Etwas kommt durch den Attraktor, und diesmal ist es kein Phantom.«
    Jemand fluchte, und Laurania erwiderte: »Alarmiert die Bergungsgruppen. Die Stillräume sollen vorbereitet werden. Wie viel Zeit bleibt uns?«
    »Die Fluktuationen werden schnell stärker. Nicht mehr als fünf Minuten, schätze ich. Und es scheint etwas wirklich Großes zu sein.«
    Jemand brummte: »Vielleicht liegt es an der Extraktion. Vielleicht ist etwas aufmerksam geworden. Haben wir etwas geweckt?«
    Das war eine dritte Stimme. Fast so rau und heiser wie die eines Mortus – für einen Moment regte sich Hoffnung in Xavius und löste sich sofort wieder auf –, aber auch emotional, besorgt.
    Aus dem Jucken wurde ein Prickeln. Etwas mehr Gefühl kehrte in Xavius’ Finger zurück, und er wollte nach der Nadel in seiner Brust greifen. Jemand stieß seine Hand beiseite.
    Plötzlich konnte er wieder sehen. Die dunklen Schlieren vor ihm lösten sich auf – seine Augen waren die ganze Zeit offen gewesen – wie Rauch, den plötzlich aufkommender

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