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Der letzte Regent: Roman (German Edition)

Der letzte Regent: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Regent: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Fall gab es jedoch zwei Dinge, von denen sie nichts wussten: Mallorys Prionen und die Kognitionssporen. Beides zusammen lief auf eine seltsame Ironie hinaus: Im Augenblick des Nichts bekam er vielleicht Gelegenheit, alles zu erfahren, oder zumindest einen Teil. Diese Erkenntnis brachte nicht nur Trauer, sondern auch trotzigen Stolz.
    »Gehören Sie zu Minerva?«, fragte die Stimme.
    »Ja«, sagte er, denn zu leugnen hatte keinen Sinn. Ja, antwortete sein Bewusstsein, als aus dem hellen weißen Strahlen ein rotes Glühen wurde, das den Augen Wärme brachte – die nächste Sondierungsstufe. Er begann zu erzählen, ein tiefer, subtiler Teil von ihm, angeregt von Sifter-Signalen, aber hier verbarg sich ein eigenes kleines Geheimnis, das nicht zu denen des Regenten zählte. Sein Gehirn war vorbereitet. Von Bluestones Bioingenieuren geschaffene Prionen, körpereigenen Eiweißstoffen so ähnlich, dass sich bei gewöhnlichen Untersuchungen kein Unterschied feststellen ließ, beeinflussten bestimmte Hirnsektoren und tarnten als Wahrheit, was eigentlich Lüge war. Was der Sifter empfing, war eine Geschichte, die bis in die letzten Einzelheiten wahr klang, aber in allen wichtigen Punkten erfunden war. Mallory gab nichts preis, im Gegenteil: das Endurium erhielt gezielt falsche Informationen von ihm.
    »Ich werde sterben. Bei höchster Sondierungsstufe wird mich der Sifter umbringen oder meinen Geist vernichten.«
    »Das ist uns bekannt.«
    »Und es ist Ihnen gleichgültig.« Das rote Glühen verwandelte sich in ein blaues Gleißen. Dumpfer Schmerz breitete sich im Nacken aus und wanderte durch den Hinterkopf.
    »Es lässt sich nicht vermeiden. Das Endurium ist wichtiger als Sie.«
    »Es ließe sich vermeiden, wenn Sie mir Fragen stellen, die ich mündlich beantworten kann. Ich würde Ihnen die Wahrheit sagen.«
    »Dafür gäbe es keine Garantie.«
    »Oh«, sagte Mallory mit beißendem Spott und hörte seine Worte wie durch Watte. »Sie trauen mir nicht?«
    »Nein«, bestätigte die Stimme, während vorbereitetes, plausibles, aber falsches Wissen aus Mallorys Bewusstsein strömte. Das Licht funkelte jetzt, silbrig am Rand und golden in der Mitte, und der Schmerz drang durch den Kopf bis zu den Schläfen. Es war ein stechender und hämmernder Schmerz, der das Denken erschwerte, und Mallory fühlte die Dunkelheit nahe, aus der er wahrscheinlich nie mehr erwachen würde. Als er sich daranmachte, die Kognitionssporen freizusetzen, fielen ihm fremde Worte ein, und er murmelte:
    »Es sandte mir das Schicksal tiefen Schlaf.
    Ich bin nicht tot, ich tauschte nur die Räume.
    Ich leb in euch, ich geh in eure Träume,
    da uns, die wir vereint, Verwandlung traf.«
    »Was?«, fragte der Mortus. Das Licht schrumpfte zu einem kleinen, heißen Punkt, der sich in Mallorys Gedanken fraß.
    »Von einer Kustodin gehütete Worte«, murmelte Mallory und stellte sich dabei das Gesicht einer kleinen, zierlichen Frau vor. »Sie stammen aus der Vergangenheit der Erde.«
    »Wir werden ihre Bedeutung erfahren«, sagte der Mortus. »Wir werden alles erfahren.«
    Viele Lügen, dachte Mallory, in ein paar Wahrheiten verpackt, damit das Paket besser aussieht.
    Er gab die Sporen frei. Sie waren so klein wie Viren, aber zweifellos gab es hier Sensoren, die …
    »Biologischer Alarm«, schnarrte eine Stimme. »Biologischer Alarm.«
    Kontaminationsfilter fingen viele der Sporen ein und hielten sie fest oder neutralisierten sie. Die anderen, von den Bioingenieuren auf Bluestone angepasst, fanden die lokalen Netze und Datensysteme. Vielleicht, dachte Mallory, während er vergeblich versuchte, den Blick vom heißen Licht abzuwenden, ähnelten diese Sporen den Mikromaschinen, wie sie im Endurium verwendet wurden. Sie erweiterten Geist und Wahrnehmung und vereinten die Sinne zu einem sensorischen Kompositum.
    Datenstimmen flüsterten in einem Ozean aus Farben, Gerüchen und Aromen. Dies war seine Mission, sein Auftrag, der ihn vom fernen Magellangraben bis zur Erde gebracht hatte. Hier waren sie, die Geheimnisse des Enduriums, von den Morti selbst vor den Vivi geschützt. Sein konditioniertes Gedächtnis nahm sie auf, obwohl es nichts mehr nützte.
    Kurz vor dem Ende erfuhr Mallorys Bewusstsein Größe. Es flog mit den Kognitionssporen, durchdrang die Datensysteme der Stillen Stadt, so wie die Semiintelligenz der blauen Steine auf Bluestone den Weltwald durchdrang. Alles lag wie für ihn ausgebreitet da, er konnte es deutlich mit all seinen Sinnen erkennen.
    Es ging

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