Der letzte Regent: Roman (German Edition)
er danach, mit der Absicht, sich zusätzlichen Schwung zu geben, aber plötzlich hielt er einen Helm in der Hand: das Visier zerbrochen, das Gesicht hinter den Splittern halb kristallisiert, die Augen wie Glas. Gewebefetzen, ein Nervenstrang und Teile der Wirbelsäule ragten aus dem Hals.
Erschrocken ließ Xavius den Helm mit Sirtes Kopf los, bekam etwas anderes zu fassen, zog, erreichte den Schacht und schwebte hinein. Eine Wand war nah, nicht mehr als eine Armeslänge entfernt, und in unregelmäßigen Abständen ragten etwa zwanzig Zentimeter lange Stangen hervor, dick wie ein Arm. Xavius nutzte sie, um sich nach »unten« zu hangeln, tiefer in den Schacht und weg vom flackernden Licht der Phantome.
18
Nach ungefähr zweihundert Metern knickte der Schacht in einem Winkel von etwa dreißig Grad nach rechts ab, und auf der linken Seite, in der nahen Wand, gab es eine Öffnung, umgeben von mehreren Stangen. Xavius zog sich und Laurania hindurch, entdeckte die kantigen Elemente einer aus mehreren Segmenten bestehenden Luke und drückte sie nacheinander zu. Woraufhin es stockfinster wurde. Nur an zwei Stellen gab es ein vages Glühen in der pechschwarzen Dunkelheit – es stammte von den Indikatoren der beiden Raumhelme.
Xavius brachte seinen Helm an Lauranias Visier heran. »Ich verliere Luft«, sagte er schnell. »Die verdammte Nadel, die Sie mir in die Brust geschossen haben … Luft entweicht durch das Loch.«
Das Gesicht, das er hinter dem anderen Visier sah – es schien sehr blass zu sein. Und ein dünner Schweißfilm glänzte auf der Haut, die Farbe verloren hatte.
»Ich bin … verletzt«, sagte Laurania schwach. »Die Diagnosesysteme … funktionieren nicht mehr. Etwas ist mit den Beinen und dem Unterleib passiert.« Sie schnitt eine Grimasse. »Es tut verdammt weh. Wir müssen … zur Tür.«
»Zu welcher Tür? Was meinen Sie mit ›Tür‹?« Xavius keuchte; das Atmen fiel ihm immer schwerer.
»Die anderen … warten«, ächzte Laurania. »Sie werden das … Hauptdepot nicht ohne uns verlassen. Bringen Sie uns zur Tür.«
»Ich weiß nichts von einer Tür.« Xavius drückte seinen Helm fester an ihren, als könnte er seiner Stimme auf diese Weise Nachdruck verleihen. Als Laurania die Augen schloss, rüttelte er sie an den Schultern. »Hören Sie? Ich weiß nichts von einer Tür! «
Aber die Augen der jungen Frau blieben geschlossen, und der rote Widerschein warnender Indikatoren huschte über Wangen und Lider, schien sich mit dem Glühen des großen Gefahrensymbols in Xavius’ Visier zu vereinen. Für wie lange reichte seine Atemluft noch? Er konnte kaum mehr klar denken.
Ihm fielen die Augen zu. Nur einen Moment ausruhen, dachte er. Nur ein paar Sekunden, um neue Kraft zu schöpfen und …
Nein! Er zwang die Lider nach oben, starrte erneut auf die Nadel in seiner Brust, die in der Finsternis kaum zu erkennen war, und traf eine Entscheidung. Er erstickte, wenn er nichts unternahm; ihm blieb keine Wahl.
Er griff mit der rechten Hand nach dem Teil der Nadel, der aus der Brust ragte, saugte dünne Luft in die Lunge und zog mit einem Ruck.
Das Geschoss kam aus der Wunde, aber nur halb. Etwas schien die Nadel festzuhalten, wie mit Widerhaken, die sich ins lebende Fleisch bohrten, darin festkrallten.
Schmerz explodierte zwischen seinen Rippen. Xavius zog weiter, obgleich sich der Schmerz verdoppelte und verdreifachte, bis er heiß wie Feuer auch in den Fingern brannte und ihm die Kontrolle über Körper und Geist zu nehmen drohte.
Und dann hielt er die Nadel in der zitternden Hand. Zwischen ihr und dem Loch in der Brust schlängelte sich etwas Weißes, nicht dicker als ein Faden und von ekelhaftem Leben erfüllt: ein Teil des Parasiten, der aus dem Geschoss in die Brust gekrochen war und die Mikromaschinen des Schwarms mit chemo-elektrischen Signalen lahmgelegt hatte. Das grässliche Geschöpf zappelte und wand sich wie ein Wurm, und Xavius versuchte, es festzuhalten, es ganz aus der Wunde zu ziehen. Mit Daumen und Zeigefinger drückte er dicht über dem Loch zu, aus dem eine kleine Fontäne gefrierender Luft kam, und der Parasit riss. Der untere Teil verschwand durch die Öffnung, und Xavius spürte, wie sich in seiner Brust etwas bewegte; der Rest, im Vakuum vom inneren Druck aufgebläht, schwebte zusammen mit den Eiskristallen der gefrorenen Luft davon und verschwand mit einem letzten Zucken in der Dunkelheit.
Unter dem roten Gefahrensymbol wanderten Buchstaben übers Visier. Leck wird
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